18. September 2022, 8:51 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Faultiere tragen immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen und wirken dadurch sympathisch und niedlich. Die natürliche Heimat dieser unglaublich langsamen Baumbewohner sind die tropischen Regenwälder Mittel- und Südamerikas, wo sie ein geruhsames Leben verbringen – sofern das Schicksal nicht grausam zuschlägt. Faultiere können nämlich beim Toilettengang sterben.
Faultiere haben einen der langsamsten Stoffwechsel im gesamten Tierreich. Das liegt an ihrer kargen Nahrung: Die Tiere fressen nämlich hauptsächlich energiearme Blätter, die ihnen hoch oben in den Baumkronen gewissermaßen direkt ins Maul wachsen. Bewegen müssen sie sich also kaum. Nur für den Toilettengang verlassen die meisten Exemplare etwa einmal pro Woche ihren Baum – und das ist ziemlich gefährlich. Denn dabei können Faultiere sterben.
Wann kann ein Faultier beim Toilettengang sterben?
Etwa die Hälfte der Dreifinger-Faultiere kommt bei ihrem wöchentlichen Besuch auf dem Waldboden ums Leben. Denn hier sind die trägen Tiere ihren Feinden wie Jaguaren und Schlangen schutzlos ausgeliefert: Um 100 Meter zurückzulegen, brauchen Faultiere etwa 30 Minuten. Da haben Raubtiere natürlich leichtes Spiel. Doch warum klettern sie dann überhaupt von ihrem sicheren Baum herunter, um ihr Geschäft zu verrichten?
Um diese Frage zu beantworten, muss man zwischen zwei verschiedenen Gattungen unterscheiden: Es gibt nämlich Zweifinger-Faultiere und Dreifinger-Faultiere. Die Tiere lassen sich tatsächlich mithilfe der Anzahl ihrer Hakenklauen an den Vorderpfoten auseinanderhalten: Zweifinger-Faultiere haben vorne zwei gebogene Krallen, Dreifinger-Faultiere haben drei. Es sind vorwiegend die Dreifinger-Faultiere, die für den Kotabsatz ihren Baum verlassen und dabei sterben. Warum gehen sie dieses Risiko überhaupt ein?
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Grüne Algen im Faultierpelz
Während Zweifinger-Faultiere ihre Ausscheidungen schon mal aus den Baumwipfeln auf den Waldboden fallen lassen, steigen ihre Verwandten mit drei Fingern meist einmal pro Woche mühsam von ihrem Baum herab. Sie suchen sich eine Mulde und setzen ihren Haufen hinein. Der Grund dafür sind wohl die Motten, die im Faultierfell leben. Die Insekten arbeiten gewissermaßen als „Gärtner“ im Haar der Dreifinger-Faultiere und kultivieren dort den Algenbewuchs. Die Grünalgen wiederum dienen den Baumbewohnern als willkommene Tarnung, die Schutz vor Greifvögeln bietet. Zusätzlich nutzen die Faultiere die Algen in ihrem Fell als nahrhaften Snack für zwischendurch.
Dreifinger-Faultiere haben also ein Interesse daran, dass ein dichter Algenteppich auf ihrem Fell wuchert. Dafür brauchen sie die Unterstützung einer bestimmten Motten-Art. Diese wiederum legt ihre Eier im Faultier-Kot ab. Die Pflanzenfresser müssen also dafür sorgen, dass die Motten, die sich in ihrem Pelz um den Algenbewuchs kümmern, nah genug an den Dung herankommen. Nur so ist sichergestellt, dass neuer Motten-Nachwuchs schlüpfen kann. Wenn die Dreifinger-Faultiere ihre faserreiche Nahrung verdaut haben und sich entleeren müssen, klettern sie daher ganz gemächlich von ihrem Baum herunter und verrichten ihr Geschäft auf dem Boden des Regenwalds.
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Gewinnbringende Dreiecksbeziehung von Faultier, Motte und Alge
Die Beziehung zwischen Dreifinger-Faultier und Motte nennt man in der Biologie Symbiose. Gemeint ist damit das harmonische Zusammenleben zweier unterschiedlicher Arten, aus dem beide einen Vorteil für sich ziehen. In diesem Fall sorgt das Dreifinger-Faultier durch seinen gefährlichen Toilettengang am Waldboden für die Vermehrung der Motte, während das Insekt die nahrhafte Grünalge im Faultierfell durch Kot-Reste düngt.
Entdeckt haben dieses faszinierende Zusammenspiel Forscher der Universität Wisconsin-Madison im Regenwald von Costa Rica. Bis dahin hatte man angenommen, das Dreifinger-Faultier würde durch den Kotabsatz am Waldboden „seinen“ Baum düngen. Nun ist klar: Der Grund für den lebensgefährlichen Toilettengang mit dem Risiko, aus Versehen zu sterben, ist um einiges komplexer.
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Quellen
- Pauli, J. N., Mendoza, J. E., Steffan, S. A., Carey, C. C., Weimer, P. J., & Peery, M. Z. (2014). A syndrome of mutualism reinforces the lifestyle of a sloth. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 281(1778), 20133006.
- WWF, „Faszination Faultier: Ruhepol in Gefahr“ (aufgerufen am 30.8.2022)
- Spektrum, „Das Faultier, die Motte und die Alge“ (aufgerufen am 30.8.2022)