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Bei Experten nachgefragt

Warum gestrandete Wale explodieren können

Bei gestrandeten Walen, hier ein Pottwal an der italienischen Küste, besteht unter bestimmten Bedingungen die Gefahr, dass sie explodieren können
Bei gestrandeten Walen, hier ein Pottwal an der italienischen Küste, besteht unter bestimmten Bedingungen die Gefahr, dass sie explodieren können Foto: Getty Images / piola666 
Ninja Sinke Autorin

24. Juli 2023, 13:39 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Gestrandete Wale entwickeln sich regelmäßig zur Sensation. Doch die Kadaver der Giganten können zu tickenden Zeitbomben werden und platzen – dabei schießen Organe und Blut mit großem Druck aus dem Wal heraus. PETBOOK hat Experten gefragt, was dahinter steckt.

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Neben lebenden Walen werden auch immer wieder bereits tote Exemplare an Stränden weltweit angespült. Das kann geschehen, wenn sie nicht auf den Grund des Ozeans sinken, wo sie für kleinere Lebewesen als Nahrungsquelle dienen. Für viele Menschen sind diese Naturereignisse etwas Außergewöhnliches. Liegen die Kadaver großer Wale bei sommerlichen Temperaturen eine Zeit lang am Strand, können Prozesse in ihrem Inneren dazu führen, dass sie sich aufblähen – mitunter entlädt sich ihr innerer Druck auch explosionsartig. PETBOOK sprach mit zwei Wal-Experten darüber und erklärt, wie es dazu kommen kann, dass Wale explodieren.

Untersuchung gestrandeter Wale nicht ungefährlich

Stranden tote Wale, sind sie sowohl für Neugierige als auch Wissenschaftler interessant. Währen erstere die großen Meeressäugetiere aus nächster Nähe betrachten möchten, erhoffen sich letztere mittels entnommener Proben mehr Informationen über die Wale, etwa über Todesursache, Anatomie, Ernährung oder sogar Lebensgeschichte. So auch bei einem im Juli dieses Jahres an der Südwestküste Irlands gestrandeten Finnwal. Die Irish Whale and Dolphin Group (IWDG) geht nach einer Untersuchung des Tieres davon aus, dass der Wal schon seit mehreren Wochen tot sei. Stephanie Levesque bemerkte bei der Probenentnahme verdächtige Geräusche, die sie sofort in ihrer Arbeit innehalten ließen. Der irischen Zeitung „Irish Examiner“ erklärte die Strandungsbeauftragte der IWDG: „Ich wollte ein paar Muskeln entnehmen, aber ich hörte Geräusche und dachte: Wenn ich noch tiefer gehe, explodiert mir das Ding ins Gesicht.“

Denn ein explosionsartiges Entweichen blutiger Innereien hat schon einige vor Levesque getroffen – oder nur knapp verfehlt. So etwa im Jahr 2013 auf den Färöer-Inseln. Bjarni Mikkelsen, Meeresbiologe des örtlichen Nationalmuseums, wollte den Kadaver eines gestrandeten Pottwals aufschneiden. Aus weiser Voraussicht trug Mikkelsen Schutzkleidung, für die er im Nachhinein dankbar gewesen sein dürfte. Ihn verfehlten beim Schnitt in den Körper des Wals nur knapp gewaltige Mengen in die Luft geschleuderter Organe und Blut. Der britischen Zeitung „Daily Mail“ sagte der Biologe, er habe bei dem mehrere Tage alten Kadaver mit einem gewissen Druck gerechnet – aber nicht mit dem Ausmaß, dass sich dann tatsächlich ereignete.

Auch interessant: Können Wale wirklich Menschen verschlucken?

Organe und Blut ergossen sich nach Explosion über belebte Straße

Wie gewaltig die Ausmaße bei Walen, die explodieren, sein können, zeigt ein Ereignis in Taiwan. Im Januar 2004 war ein Pottwal an der Südwestküste des Inselstaats gestrandet und verendet. Der zu Untersuchungszwecken auf einen Lkw verladene Kadaver befand sich auf einer belebten Straße der Stadt Tainan, als sich Blut und innere Organe des Tiers explosionsartig über Fahrzeuge und Läden in der Umgebung ergossen. Der Verkehr musste daraufhin für mehrere Stunden gesperrt werden, berichtete der US-amerikanische Nachrichtensender „NBC News“.

Die bislang wohl berühmt-berüchtigtste Walexplosion – allerdings beabsichtigt – ereignete sich im Jahr 1970 im US-Bundesstaat Oregon. Ein nahe der Stadt Florence gestrandeter Pottwal stellte die zuständigen Behörden vor eine Herausforderung. Um sich die Entsorgung des stark riechenden Kadavers zu erleichtern, entschied man sich für den Einsatz von Dynamit. Mit einer „kontrollierten“ Explosion sollte das acht Tonnen schwere Tier in kleine Stücke zerteilt werden. Die Aufräumarbeiten würden Möwen und Aasfresser erledigen, so der Plan.

Das Spektakel wurde sowohl von einer Schar Schaulustiger beobachtet als auch von lokalen Reportern dokumentiert. Das Ausmaß der Explosion war jedoch gewaltig unterschätzt worden. Eine halbe Tonne Dynamit erzeugte eine 30 Meter hohe Säule aus „Sand und Wal“, berichtet Oregonencyclopedia.org. Teile des Kadavers flogen mehr als 200 Meter weit, Schaulustige liefen schreiend davon. Verletzt wurde glücklicherweise niemand, lediglich ein in der Nähe geparktes Auto wurde von einem großen Stück Blubber, wie die mehrere Zentimeter dicke Fettschicht von Walen bezeichnet wird, beschädigt. Seitdem werden gestrandete Wale in Oregon am Strand vergraben.

Wie kommt es dazu, dass Wale explodieren?

Mehrere virale Videoaufnahmen zeigen, wie Wale an unterschiedlichen Orten weltweit explodieren. Doch was steckt hinter dem Phänomen? Eine Ursache dafür sei die Anatomie der Wale, die an ihren Lebensraum in bis zu mehreren tausend Metern Tiefe angepasst sind, erklärt Veterinär und Wal-Experte Jan Hermann auf Anfrage von PETBOOK. Pottwale etwa zählen zu den am tiefsten tauchenden Meeressäugern, ihre Hautschichten seien daher besonders fest und widerstandsfähig. „Verendet ein Wal mit intakter Außenhülle, führt das je nach Witterungsbedingungen unterschiedlich schnell zur Zersetzung, mikrobiologischer Aktivität mit Gasproduktion und Druckaufbau“, so der Wal-Experte.

Die mehrere Zentimeter dicke Fettschicht der Wale, die sogenannte Blubberschicht, führe dazu, dass im Inneren der Wale eine hohe Temperatur bestehen bleibe. Dadurch bestünden im Organismus optimale Vermehrungsbedingungen für Bakterien, die Gase produzieren. Eine intakte Außenhülle des Wals sei in der Lage, einem großen inneren Druck standzuhalten, weshalb sich der Kadaver stark aufblähen kann. Doch auch diese Widerstandsfähigkeit hat Grenzen. Wird der Druck im Inneren aufgrund der sich bildenden Gase zu groß, gibt das Gewebe an einer Stelle nach. Hermann erklärt, dass die größte Gefahr bei den „aufgegasten“ Tieren bestehe, wenn sie unsachgemäß angeschnitten werden. „Dann entladen sich die inneren, zersetzten Organe zusammen mit Körperflüssigkeiten mit gewaltiger Kraft.“

Fabian Ritter, Meeresbiologe der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) erklärt auf Anfrage von PETBOOK, dass verschiedene Faktoren dazu beitragen, ob ein Wal potenziell platzen kann oder nicht. Neben Art und Dauer der Verwesung spiele auch die Außentemperaturen und Sonneneinstrahlung eine Rolle. Auch sei entscheidend, wo es im Wal zur Gasbildung komme. Ritter erklärt: „Über Öffnungen, wie Maul- oder Enddarmbereich, können entstehende Gase sich ihren Weg bahnen und entweichen.“ Zudem sei das langsame Entweichen der Gase über tiefere Verletzungen der Haut und der darunterliegenden Fettschicht möglich. „Der Rumpf der Wale ist dagegen von einer dicken Fettschicht umschlossen, weshalb Gase tief im Inneren des Körpers, etwa im Darmbereich, oft nicht entweichen können.“ Bei fortschreitender Gärung bestehe in diesem Fall die Gefahr einer spontanen Explosion des Wals, indem das Gewebe aufplatzt.

Explodieren Wale auch an deutschen Stränden?

Auch an deutschen Stränden komme es immer wieder zu Strandungen von Pottwalen, erklärt der WDC-Meeresbiologe Fabian Ritter auf Anfrage von PETBOOK. Das sei in diesem Jahrhundert bereits zwei Mal vorgekommen. Aufgrund ihres enormen Gewichts – Männchen wiegen bis zu 60 Tonnen – gestalte sich der Transport der toten Wale als logistische Herausforderung. Es sei jedoch ratsam, die Tiere vom Strand zu entfernen. Einerseits, um die Sicherheit von Passanten zu gewährleisten, aber auch, um eine pathologische Untersuchung durchführen zu können, so Ritter.

Ob Gefahr durch eine potenzielle Explosion bestünde, sei laut Jan Hermann abhängig davon, wie lange ein Tier schon am Strand liege. Er erklärt, dass gestrandete Wale, in deren Körper der Druck steigt, verschiedene Merkmale aufweisen: „Zu erkennen sind die Wale daran, dass die Flipper abstehen, die Zunge und bei männlichen Tieren der Penis, herausgedrückt wird.“ Seiner Einschätzung nach habe die Zahl der Pottwal-Strandungen an deutschen Stränden zugenommen, die Zahl explodierender Wale aber nicht. „Die Behörden sind meines Erachtens so schnell dabei, die gestrandeten Tiere abzusichern, dass keinerlei Gefahr durch explodierende Wale für Strandgänger besteht.“ Auch von den deutlich häufiger an deutschen Stränden aufzufindenden Schweinswalen gehe laut des Experten keine Gefahr aus. Die etwa 1,5 Meter langen Tiere würden aufgrund ihrer geringen Körpergröße viel schneller auskühlen – das bringe Zersetzungsprozesse zum Erliegen.  

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Experte empfiehlt, Abstand von gestrandeten Walen zu halten

Passanten sollten, der Einschätzung von Fabian Ritter nach, grundsätzlich Abstand von gestrandeten Walen halten. Anstatt sich dem Tier zu nähern, empfiehlt er Laien, die Küstenwache, Polizei oder eine Meldestelle über die Strandung zu informieren. Zudem bestehe bei lebenden Walen Verletzungsgefahr durch ihre Fluke, mit der sie versehentlich Menschen treffen könnten. Bei verendeten Walen können zudem verschiedene Bakterien und Viren ein Infektionsrisiko für Menschen darstellen.

Themen Meerestiere Wale

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