4. November 2022, 13:19 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Viele Haustiere lieben es, mit Bällen zu spielen. Für Insekten wurde dieses Verhalten allerdings noch nie beobachtet. Das britische Forscherteam um den Verhaltensbiologen Prof. Lars Chittka konnte in einem Versuch nun erstmals nachweisen, dass auch Hummeln Spielverhalten zeigen. In einem Interview erzählt Prof. Chittka, wie das Experiment zustande kam und dass auch Hummeln kleine Persönlichkeiten sind.
Nicht nur unsere Haustiere spielen gern mit Bällen. Viele Tiere haben offensichtlich Spaß daran, runde Objekte zu bewegen und zu manipulieren. So kann man es nicht nur unter Säugetieren, sondern auch bei Reptilien wie Komodowaranen oder bei Vögeln beobachten. Für Insekten wie Hummeln wurde das Spielen mit Bällen bisher jedoch noch nie beschrieben. Solche komplexen Verhaltensmuster sprach man diesen „einfachen Tieren“ gern ab.
Jedoch lieferte ein achtköpfiges Forscherteam an der Queen Mary Universität in London den Beweis: Auch Hummeln zeigen Spielverhalten. In einem Interview verriet Arbeitsgruppenleiter und Buchautor Prof. Dr. Lars Chittka PETBOOK, wie es zu der unglaublichen Entdeckung kam und was Hummeln sonst noch so drauf haben.
Übersicht
Wie erforscht man das Verhalten von Hummeln?
PETBOOK: Herr Prof. Dr. Chittka, die meisten Verhaltensbiologen beschäftigen sich mit Tieren wie Mäusen, Vögeln oder anderen Wirbeltieren. Wie kam es dazu, dass sie sich mit Hummeln beschäftigt haben?
Prof. Dr. Lars Chittka: Wie Honigbienen und Ameisen gehören auch die Hummeln zu den sozialen Insekten und zeigen ein sehr komplexes Verhalten. So gibt es unter ihnen Arbeitsspezialisten, die sich auf bestimmte Aufgaben konzentrieren und ein erstaunliches Lernverhalten zeigen.
Was mich und auch viele meiner Kollegen fasziniert, ist aber die Andersartigkeit ihrer Sinneswelt. So haben sie zum Beispiel diese seltsamen Apparate am Kopf, die allgemein Fühler genannt werden. Damit können sie nicht nur riechen und schmecken, sondern auch sehr feine Strukturen, wie zum Beispiel die Oberflächen von verschiedenen Blüten ertasten. Wenn man das Verhalten von Säugetieren beobachtet, neigt man dazu, diese als „kleine Menschen“ wahrzunehmen – vor allem, wenn es die Lieblingstiere sind. Diese Vermenschlichung liegt bei der Erforschung von Insekten nicht so nah.
Wie sieht so ein Hummelexperiment in Ihrer Arbeitsgruppe aus? Was genau beobachten Sie?
In unseren Experimenten erforschen wir vor allem das Lernverhalten. Das Wichtigste, was Bienen und Hummeln in der Natur lernen müssen, ist, die besten Blüten zu finden. In unseren Experimenten bieten wir den Hummeln künstliche Blüten in Flugarenen an. Manchmal im Gewächshaus, manchmal draußen in kleinen Holzkästen. Für alles, was unsere Tiere im Versuch richtig machen, bekommen sie Zuckerwasser. Solange es diese süße Belohnung gibt, kommen die Hummeln auch immer wieder zurück in das Versuchs-Set-Up.
Das bedeutet, die Tiere machen freiwillig mit bei den Experimenten?
Ja, wir arbeiten in allen unseren Versuchen mit frei fliegenden Tieren. Diese kommen allerdings nicht aus wild lebende Hummelvölkern. Meist kaufen wir für unsere Versuche Kolonien, die gezielt für die Bestäubung in der Landwirtschaft gezüchtet werden. Solche Hummelvölker werden zum Beispiel in Gewächshäusern zur Bestäubung von Pflanzen wie Tomaten oder Beeren eingesetzt.
Auch interessant: Fingertier das erste Mal beim Popeln gefilmt
Haben Hummeln eine Persönlichkeit?
Tiere wie Hunde, Katze oder auch Vögel betrachten wir gerne als Individuen mit eigener Persönlichkeit. Bei Insekten ist dies oft weniger der Fall. Gibt es auch bei Hummeln so etwas wie eine individuelle Persönlichkeit?
Ja, die gibt es. Das stellt man sofort fest, wenn man die Tiere individuell markiert – zum Beispiel mit Farbtupfern oder kleinen Nummernplättchen. So gibt es immer mal wieder Individuen, die besonders schlau sind. Die nennen wir dann unsere Einstein-Hummeln.
Vor einigen Jahren haben wir ein Experiment gemacht, wo die Tiere an einer Schnur ziehen mussten, um an eine Belohnung zu bekommen. Eigentlich ist das ein klassischer Intelligenztest für Primaten und Rabenvögel. Wir waren neugierig, ob auch Hummeln diese Aufgabe lösen können und haben den Tieren künstliche Blüten unter einer Plexiglasscheibe angeboten. Die Tiere konnten diese zwar sehen, aber nicht direkt an das Zuckerwasser darin gelangen. Dies erreichten sie nur, wenn sie die Blumen mithilfe einer Schnur hervorziehen. Die meisten Tiere muss man diese Fähigkeit in kleinen Schritten beibringen. Von den über 130 Tieren, die wir getestet haben, gab es jedoch zwei, die diese Aufgabe spontan gelöst haben – ganz ohne vorheriges Training.
Wie wurde das Spielen der Hummeln entdeckt?
Welche Verhaltensweise der Hummeln hat Sie während Ihrer Forschung besonders fasziniert?
Die erste Hummel zu sehen, die gezielt an einem Faden zieht, um an eine Belohnung zu kommen, war schon sehr beeindruckend. Daraufhin haben wir viele andere Experimente gemacht. So hatten wir den Hummeln vor ein paar Jahren die Aufgabe gestellt, einen kleinen Ball in eine bestimmte Fläche zu rollen, um dafür Zuckerwasser zu erhalten. Nicht nur, dass die Hummeln diese für sie völlig unnatürliche Verhaltensweise, einen Ball zu rollen, erlernt haben. Andere Tiere haben es ihnen nachgemacht, indem sie ihre Hummelschwestern beim Lösen der Aufgabe beobachteten. Zu sehen, wie Hummeln sich Verhalten gegenseitig abschauen könne, war faszinierend für mich.
Ihre neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass Hummeln auch spielen. Wie haben sie das Verhalten das erste Mal entdeckt?
Während unserer Ballroll-Studie stellten wir fest, dass es neben den Hummeln, die den Ball für Zuckerwasser ins Feld kugelten, auch Tiere gab, die gar nicht an dem Experiment beteiligt waren. Diese rollten trotzdem die Bälle umher, ohne dass es jemals eine Belohnung dafür gab.
Daraufhin hat unsere Doktorandin Samadi Galpayage ein Experiment gestartet, in dem sie den Hummeln die Bälle in verschiedenfarbigen Kammern angeboten hat. Sie wollte herausfinden, ob die Hummeln lernen, die Farbe der Kammer mit dem Spaß der Bälle zu verknüpfen – und das tun sie. Selbst wenn man die Bälle wegnimmt, suchen die Hummeln immer bevorzugt zum Beispiel die gelbe Kammer auf, wenn sie vorher die Erfahrung gemacht haben, dass es dort immer Bälle zum Herumrollen gab.
Auch interessant: Maulwürfe schrumpfen ihr Gehirn im Winter bis zu elf Prozent
Warum spielen Hummeln mit Bällen?
Ist das Spielen der Hummeln mit dem anderer Tiere vergleichbar?
Eines der Kriterien für Spielverhalten ist, dass es im direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit keine Belohnung wie Zuckerwasser gibt, sondern die Tätigkeit an sich belohnend sein muss. Das Tier muss es aus einer eigenen Motivation heraus machen. In unserem Versuch machten die Hummeln auf dem Weg von ihrem Nest und der Futterstelle extra einen Umweg, nur um mit den Bällen zu spielen, auch wenn es nie eine Belohnung gab. Das legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei tatsächlich um Spielverhalten handelt.
Man sagt ja, dass Tiere spielen, um ihre Fähigkeiten auszuprobieren und zu verfeinern. Welche Fähigkeit üben denn die Hummeln, wenn sie mit Bällen spielen?
Sie könnten zum Beispiel im spielerischen Kontext ihre Fähigkeit, Objekte zu manipulieren, ausprobieren. Hummeln, die auf diese Weise ihr Können üben, sind vielleicht später auch besser darin, Blüten auszubeuten. Es kann aber auch sein, dass das Verhalten selbst Genuss-bringend ist und von den Tieren deshalb immer wieder wiederholt wird.
Auch interessant: Die 10 lustigsten Haustier-Rekorde
Studie liefert erste Beweise Hummeln machen die gleichen Denkfehler wie Menschen
„Sprechen“ per Knopfdruck Können wir mit Hunden über Soundboards kommunizieren? Studie liefert erste Hinweise
11 Fragen Biene, Wespe oder Hummel – erkennen Sie alle Insekten im Quiz?
Wie geht es mit der Hummelforschung weiter?
Wie geht es mit der Hummelforschung in ihrer Arbeitsgruppe weiter?
Wir möchten unbedingt weitere Aspekte des Spielverhaltens bei Hummeln erforschen. Samadi untersucht gerade, ob das Spielen mit den Bällen einen Nutzen für die Tiere bringt, wenn sie etwa später an Blüten sammeln. Wir möchten aber nicht nur herausfinden, wie viel Intelligenz in den kleinen Gehirnen der Insekten steckt. Eines unserer großen Ziele ist es, der Frage nachzugehen, ob auch Hummeln und andere Insekten so etwas wie ein Bewusstsein haben. Sind sie in der Lage, zu leiden oder zu genießen?
Die meisten Leute setzen sich für den Schutz von Tieren ein, weil sie eine gewisse Empathie für sie empfinden. Dieses Mitgefühl spielt eine große Rolle im Naturschutz. Wir haben dies aber vor allem für warmblütige Tiere, die kuschelig aussehen. Wenn wir in Zukunft ein Bewusstsein dafür schaffen können, dass auch Insekten möglicherweise Emotionen besitzen und unter dem Zusammenbruch der Umwelt leiden, wäre dies ein wichtiger Schritt für den Umweltschutz. Unsere bisherigen Forschungsergebnisse zeigen aber jetzt schon, dass es sich bei Hummeln um intelligente Tiere handelt, die unseren Respekt verdienen.