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Individueller Charakter

Warum manche Bienen eher zustechen als andere

Bisher ging man davon aus, dass vor allem das Alter und äußere Umstände beeinflussen, ob Bienen eher zustechen oder nicht. Eine neue Studie zeigt nun: Maßgeblich ist der individuelle Charakter bei Honigbienen.
Bisher ging man davon aus, dass vor allem das Alter und äußere Umstände beeinflussen, ob Bienen eher zustechen oder nicht. Eine neue Studie zeigt nun: Maßgeblich ist der individuelle Charakter bei Honigbienen. Foto: Getty Images
Porträt Saskia Schneider auf dem PETBOOK Relaunch
Redaktionsleiterin

25. April 2025, 17:38 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Sind Bienen nur Teil eines Volks – oder haben sie eine eigene Persönlichkeit? Eine Studie zeigt: Honigbienen unterscheiden sich deutlich darin, wie wahrscheinlich es ist, dass sie angreifen. Selbst innerhalb eines Volks gibt es „sanfte“ und „aggressive“ Individuen, die ihr Verhalten über Zeit beibehalten. PETBOOK-Redakteurin Saskia Schneider ist Biologin, hält als Imkerin selbst mehrere Honigbienenvölker und erklärt, was die spannenden Ergebnisse für unser Verständnis vom Verhalten der sozialen Insekten bedeuten.

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Meistens stechen Bienen, wenn sie akut um ihr Leben fürchten. Etwa, wenn man auf sie tritt oder sie beim Arbeiten an den Völkern aus Versehen quetscht. Aber Imker wissen: Es gibt immer mal wieder ganz spezielle Kandidaten unter den Honigbienen, die gezielt Stress zu suchen scheinen. Ohne Vorwarnung schießen sie praktisch auf einen zu, um ihren Stachel zu versenken. Bisher ging ich davon aus, dass es sich dabei wahrscheinlich um eine Wächterbiene handelt. Denn im Alter von etwa 19 Tagen beginnen Honigbienen vermehrt mit der Stockwache. Ihre Giftblase ist dann prall gefüllt und sie haben die Aufgabe, Feinde vom Volk fernzuhalten und zur Not auch anzugreifen. Doch eine Studie fand nun heraus, dass nicht nur das Alter oder äußere Umstände beeinflussen, ob Bienen stechen. Entscheidend ist auch der individuelle Charakter.

Haben Bienen einen Charakter?

Honigbienen leben in riesigen Staaten von mehreren Zehntausend Tieren zusammen. Dabei betrachtet man das Volk in der Regel als Einheit – auch was den Charakter angeht. Manche Bienenvölker sammeln besonders fleißig, andere sind stechfreudiger. Das hängt vor allem von der Genetik ab. Doch dass es auch zwischen den einzelnen Individuen, bei denen es sich übrigens um Geschwister oder Halbgeschwister handelt, individuelle Unterschiede im Charakter gibt, ist mir schon während meiner Studienzeit bei der Arbeit mit Honigbienen aufgefallen.

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So gab es Bienen, die sehr übereifrig alle Verhaltensexperimente mitgemacht haben, in denen sie zum Beispiel Farben oder Gerüche lernen sollten. Andere haben sich komplett verweigert. Dies fiel auf, weil ich die Bienen alle mit einem Nummernplättchen markiert hatte, um sie im Versuch individuell zu unterscheiden. Seither weiß ich: Honigbienen sind keine kleinen Roboter, die immer alle gleich funktionieren. Es sind intelligente und soziale Wesen mit individuellem Charakter. Nun wurde dies erstmals auch wissenschaftlich bewiesen. Die Studie wurde im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht.

Ist Stechverhalten eine individuelle Eigenschaft?

Dafür untersuchten Verhaltensforscher der Universität Konstanz, ob Honigbienen (Apis mellifera) individuelle und konsistente Unterschiede im Stechverhalten zeigen. Die Frage war, welche Rolle zum Beispiel Duftstoffe – sogenannte Alarmpheromone – spielen, die Bienen beim Angriff und beim Stechen abgeben, um auch andere Bienen auf den Feind hinzuweisen. Auch die Anwesenheit anderer Bienen könnte das Verteidigungsverhalten beeinflussen.

Lange war unklar, ob das Stechverhalten in einer Situation eher durch Umweltreize gesteuert wird oder ob es sich dabei um eine stabile, individuelle Eigenschaft handelt. Frühere Studien zeigten, dass das Verteidigungsverhalten auf Kolonieebene vererbbar ist und mit bestimmten Genregionen zusammenhängt.

Das bestätigt sich auch in der Praxis: So ist man als Imker bemüht, von Völkern, deren Bienen besonders häufig stechen, keine Ableger – also neue Völkchen – zu bilden. Manche Imker gehen sogar so weit, dass sie die Königin der „Stecher“ abdrücken, also töten, und durch eine neue aus einem sanfteren Volk ersetzen. Doch die Frage, ob es neben Völkern auch einzelne Bienen gibt, die vom Typ her eher aggressiv oder sanft sind, konnte Wissenschaftler bislang nicht beantworten.

Stechen Bienen mehr, wenn sie mit anderen „Stecherinnen“ zusammen sind?

Die Untersuchung bestand aus zwei Hauptteilen. In der ersten Versuchsreihe testeten die Forscher rund 150 einzelne oder gepaarte Honigbienen in einem sogenannten Stech-Assay. Dabei wurden die Bienen mit einem bewegten Dummy einer künstlichen Bedrohungssituation ausgesetzt. Ziel war es, herauszufinden, ob die Tiere bei ihrer Entscheidung, zuzustechen bleiben, oder ob sie es davon abhängig machen, ob sie das Alarmpheromon riechen oder eine Artgenossin bei ihnen ist.

Im zweiten Experiment setzten die Wissenschaftler Gruppen aus sechs Bienen gezielt nach ihrem vorherigen Stechverhalten zusammen. Also etwa nur „aggressive“ oder „sanfte“ Bienen, aber auch gemischte Gruppen. Damit wollten sie prüfen, ob sich Bienen je nach Gruppenzusammensetzung anders verhalten und mehr oder weniger stechen.

Wichtig war bei den Experimenten, dass die Tiere ihren Stachel im Dummy zwar versenken, aber auch wieder zurückziehen konnten. Denn Honigbienen besitzen Widerhaken an ihrem Stachel. Greifen sie damit ein Säugetier an, bleibt der Stachel in der weichen Haut hängen und die Biene reißt ihn sich praktisch aus dem Hinterleib. Bienen können also nur ein einziges Mal stechen und verlieren danach ihr Leben. Greifen sie hingegen Insekten wie Wespen an, sind sie in der Lage den Stachel aus deren starren Panzer wieder herauszuziehen.

Auch interessant: Sterben Bienen wirklich nach dem Stechen? Biologin gibt Antwort 

„Sanfte“ Bienen blieben sanft, „aggressive“ blieben aggressiv

Die Ergebnisse der Studie zeigten eindeutig: Honigbienen machen keinen Unterschied, ob die Bienen neben ihnen auch stechen oder ob ein Alarmpheromon in der Luft liegt. Sie bleiben bei ihrer Entscheidung zuzustechen – oder nicht. So gab es überdurchschnittlich viele Bienen, die entweder immer oder nie stachen.

Bei einzelnen Bienen ließ sich dadurch mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob sie in späteren Tests erneut stechen würden – deutlich mehr als die 50,64 Prozent, die bei zufälligem Verhalten zu erwarten wären. Ebenso verhielten sich „sanfte“ Bienen mit 87,9 Prozent Wahrscheinlichkeit weiterhin friedlich.

Überraschend: Bienen in Paaren stachen insgesamt seltener als Einzelbienen – ein negativer Gruppeneffekt. Zudem sank die Reaktion auf das Alarmpheromon über mehrere Testdurchläufe hinweg. Auch bei der gezielten Veränderung der Gruppenzusammensetzung zeigten sich keine Änderungen im Verhalten der Einzeltiere: „Sanfte“ Bienen blieben sanft, „aggressive“ blieben aggressiv – unabhängig davon, ob sie von Gleichgesinnten oder Gegensätzlichen umgeben waren.

Also haben Honigbienen eine Art „Persönlichkeit“?

Die Ergebnisse belegen erstmals eindeutig, dass Honigbienen über stabile individuelle Unterschiede im Verteidigungsverhalten verfügen. Das spricht für eine Art „Persönlichkeit“ – zumindest im Kontext des Stechens. Diese Erkenntnis ist bedeutend, weil sie zeigt, dass kollektives Verhalten in Insektenkolonien auf einer individuellen Ebene verankert ist – ein Ansatz, der das Verständnis sozialer Organisation vertiefen kann.

Zudem zeigen die Daten, dass soziale Reize wie das Alarmpheromon lediglich den Schwellenwert für eine Entscheidung beeinflussen, aber keine grundlegende Verhaltensänderung auslösen. Das deutet darauf hin, dass Bienen soziale Signale nicht blind befolgen, sondern kontextabhängig bewerten.

Allerdings wurden die Untersuchungen nur an Bienen einer bestimmten Altersgruppe durchgeführt, denn dafür wurden nur Tiere gewählt, die durch einen Federreiz am Bienenstock als verteidigungsbereit identifiziert wurden. Ob ähnliche Verhaltensmuster auch bei anderen Bienenkategorien, etwa Ammenbienen oder jungen Arbeiterinnen, auftreten, bleibt offen. Die Studienautoren weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass ihre Ergebnisse die Grundlage für solche vertieften Untersuchungen bieten.

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Fazit

Honigbienen sind nicht nur Teil eines Schwarms – sie haben individuelle Verteidigungsstrategien. Bienen behalten ihre Entscheidung, zu stechen oder nicht, über mehrere Tests hinweg bei. Weder das Alarmpheromon noch die Zusammensetzung der Gruppe veränderten die persönliche Stechtendenz. Die Autoren schlagen daher vor, dass soziale Einflüsse lediglich den Schwellenwert für die Entscheidung verschieben, ohne die individuelle „Persönlichkeit“ zu überlagern.

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