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Laut Studie

Weißbüscheläffchen nennen sich beim Namen

Weißbüschelaffe
Eine Forschergruppe der Hebräischen Universität in Jerusalem hat herausgefunden, dass sich Weißbüschelaffen untereinander mit Namen „ansprechen“. Foto: Getty Images
Sonja Jordans

19. November 2024, 6:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Nicht nur Menschen – auch viele Tiere sprechen sich untereinander mit Namen an, zuletzt konnten Forscher das für Weißbüschelaffen belegen. PETBOOK erklärt, warum Tiere das tun und was das über die Sprachentwicklung aussagt.

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So überraschend sich das vielleicht anhören mag, aber andere beim Namen zu nennen, ist keine typisch menschliche Eigenschaft. Auch von Elefanten und Delfinen ist bekannt, dass sie Artgenossen mit speziellen, individualisierten Lauten „ansprechen“. Von Affen jedoch, immerhin die nächsten Verwandten der Menschen, war ein solches Verhalten bislang nicht bekannt. Forschende der Hebräischen Universität Jerusalem haben nun aber festgestellt, dass auch andere Tiere – so etwa Weißbüschelaffen – mit individuellen Rufen kommunizieren, die sich ähnlich wie Namen unterscheiden lassen und sich daher beim Namen nennen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Diese Tiere rufen sich beim Namen 

Bei Elefanten geht die Forschung bereits seit einigen Jahren davon aus, dass sie nicht nur nonverbal miteinander kommunizieren, sondern sich sogar persönlich „ansprechen“. Die Tiere nutzen spezielle Laute, um Herdenmitglieder individuell zu rufen – sie nennen sich sozusagen beim Namen. Auch Delfinen wird diese Fähigkeit nachgesagt. Vermutlich wollen die Tiere, die in Familienverbänden mehrerer Artgenossen leben, mit dieser Art der Kommunikation den Kontakt innerhalb ihrer Gruppe halten und die Familienstruktur stärken.

Delfine etwa „pfeifen“ dabei eine typische, für sie individuelle Abfolge, die andere Tiere der Gruppe schließlich nachahmen und dadurch den jeweiligen Artgenossen gezielt ansprechen können. Elefanten sprechen sich untereinander mit eher tiefen, grollenden Lauten an, wie jüngste Forschungsergebnisse aus Afrika zeigen. Im Gegensatz zu Delfinen imitieren sie dabei jedoch nicht die Töne des angesprochenen Artgenossen, sondern nutzen individuelle Lautfolgen.

Weißbüschelaffen haben individuelle Namen für jedes Tier

Zudem erkennen die Tiere offenbar ihre eigenen Namen, wenn sie ihnen vorgespielt werden. Eine Forschergruppe der Hebräischen Universität in Jerusalem hat nun herausgefunden, dass sich auch Weißbüschelaffen untereinander mit Namen „ansprechen“. Die Tiere gehen bei ihrer Form der Kommunikation sogar noch weiter. Dies geht aus der kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlichten Studie hervor. Sie ahmen nicht bloß die Rufe eines Artgenossen nach, sondern nutzen individuell entwickelte Laute. Diese transportieren umfangreiche Informationen, um Mitglieder ihrer Gruppe gezielt anzusprechen. 1 

Die kleinen, nur rund 16 bis 20 Zentimeter großen Weißbüschelaffen sind für ihre lauten, kurz aufeinanderfolgenden Rufe bekannt. Welche Bedeutung diese Rufe genau haben, war bislang jedoch nicht entschlüsselt worden. Daher hatte das Forscherteam der Hebräischen Universität die Laute von drei Gruppen Weißbüschelaffen in mehreren Situationen aufgezeichnet.

Anschließend analysierten sie die Tonabfolgen und Unterschiede der einzelnen Rufe mithilfe eines speziellen Computerprogramms. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Tiere eines Familienverbands untereinander immer wieder mit verschiedenen, individuellen Lauten ansprechen. Die so kontaktierten Artgenossen wussten dann auch genau, wer aus ihrer Gruppe damit genannt ist.

Namen sorgen für Bindung in der Gruppe

Einzelne Tiere reagierten demnach auf die ihnen von anderen Gruppenmitgliedern zugewiesenen Laute. Eine Erklärung dafür, warum Weißbüschelaffen diese Art der Kommunikation über Namen nutzen, liegt offenbar in ihrer Lebensweise. Die Tiere leben in engen Familienverbänden mit bis zu 15 Tieren, bevorzugt in den Baumkronen der Regenwälder im Nordosten Brasiliens. Dort legen sie in den Wipfeln auf der Suche nach Nahrung springend und kletternd mehrere hundert Meter zurück.

Um auch über größere Entfernungen den Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern nicht zu verlieren, stoßen sie unterwegs immer wieder ihre sogenannten Phee-Laute aus. Wie die Forscher vermuten, sollen diese Rufe – wie bei anderen Tieren, die als sozial agierende Gruppe zusammenleben – auch die Bindungen innerhalb des Familienverbands aufrechterhalten.  

Auch interessant: Schimpansen kommunizieren mit Zeichensprache ähnlich schnell wie Menschen sprechen

Informationen über Geschlecht und Rang

Was für menschliche Ohren wie ein hohes Vogelzwitschern klingt, liefert den kleinen Affen außerdem eine ganze Fülle an Informationen. So transportieren die Phee-Rufe unter anderem Details darüber, wer da gerade wen anspricht und welches Geschlecht das rufende Tier hat. Und auch über den Angerufenen werden mithilfe der Laute Details preisgegeben, etwa dessen Rang innerhalb der Familie.

Demnach gehen die Phee-Rufe sogar über eine bloße „Namensnennung“, wie es sie nach menschlichen Vorstellungen gibt, deutlich hinaus. „Es handelt sich eher um eine identifizierende Intonation als um einen Namen“, erläuterte dazu Jean Laurens, Neurowissenschaftler vom Ernst-Strüngmann-Institut in Frankfurt in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Aus der Studie der israelischen Forscher geht zudem hervor, dass die Äffchen grundsätzlich eher auf Rufe reagieren, wenn sie individuell, also mit einer speziellen, namens ähnlichen Lautäußerung angesprochen werden. Passiert das nicht, reagieren sie auch nicht unbedingt.2 

Lebensweise der Weißbüschelaffen ähnelt der des Menschen

Ein weiterer Grund für das Verhalten könnte demnach sein, dass die Äffchen – genauso wie Menschen – sehr an sozialem Verhalten interessiert seien, wie Guy Oren, einer der Forscher aus Jerusalem, erläuterte. Auch die Lebensweise der Weißbüschelaffen ähnelt der des Menschen: In kleinen, monogamen Familienverbänden ziehen sie gemeinsam ihren Nachwuchs auf. 

Weißbüschelaffen gelten untereinander außerdem als hilfsbereit, kooperativ und sozial. Sie helfen ihren Artgenossen nicht nur, Futter zu finden, sondern teilen auch miteinander. Auch können sie sich in ihre Artgenossen vermutlich sogar hineinversetzen, wie bereits frühere Forschungen an den Tieren ergaben. Zudem verständigen sie sich wie Menschen nicht nur durch Laute, sondern auch durch Mimik und Gestik.  

Weißbüscheläffchen lernen Namen durch Zuhören

Welche Laute sie wie einzusetzen haben und was sie bedeuten, lernen Weißbüschelaffen übrigens schon im Kindes- und Jugendalter. Wie bereits frühere Untersuchungen an den kleinen, rund 300 Gramm leichten Affen zeigten, lernen die Tiere dabei offenbar ähnlich wie Menschen. Eine Studie der US-Universität Princeton etwa legte dar, dass Weißbüschelaffen ihre individuellen Laute und Namen entwickeln, indem sie den Elterntieren zuhören. Die Eltern sind also dafür verantwortlich, dass ihr Nachwuchs seine angeborenen, natürlichen „Babylaute“ schließlich ablegt und eine „erwachsene“ Sprache lernt.3 4

Bis dato wurde angenommen, dass nicht-menschliche Primaten wie etwa Weißbüschelaffen ihre Sprache innerhalb der ersten Monate nach der Geburt unabhängig und nicht mithilfe von Artgenossen erlernen. Ein Team vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, der Universität Tübingen und der Rockefeller Universität New York hat daraufhin im Jahr 2021 Ergebnisse vorgestellt, wonach sich „das Vokalisationsverhalten von Weißbüschelaffen, ähnlich wie in den ersten Lebensmonaten des Menschen, durch verschiedene Entwicklungsstadien von den ersten Wochen nach der Geburt bis zum Erwachsenenalter verändert“, wie aus einer Mitteilung des Primatenzentrums aus hervorgeht.

Die Forscher stellten fest, dass artspezifische Laute bei Weißbüschelaffen zwar schon in den ersten Lebensmonaten vorhanden waren. Manche Veränderung bei diesen Lauten ließen sich daher tatsächlich allein durch das Erwachsenwerden der Tiere erklären. Zusätzlich fand das Team aber heraus, „dass die Art und Weise, wie diese Vokalisationen im Laufe der Entwicklung flexibel genutzt werden, auf erfahrungsbasierte Lernmechanismen hindeuten, die eines der Schlüsselmerkmale bei der menschlichen Sprachentwicklung sind“, so die Erstautorin der Studie, Yasemin Gültekin.5  

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Hinweise auf Sprachentwicklung bei Menschen

Für das Team war daher klar, dass die Forschungsergebnisse wichtige Hinweise dazu liefern, Grundlagen der Sprachentwicklung bei Menschen besser zu verstehen. Die Forschung schaffe „die Voraussetzung für zukünftige Studien darüber, wie soziale Interaktionen die Sprachentwicklung beeinflussen können.“ Die Ergebnisse der Biologen von der Hebräischen Universität in Jerusalem könnten nun ebenfalls helfen, die Ursprünge der menschlichen Sprache zu ergründen. Denn die Ähnlichkeiten zwischen den komplexen Kommunikationsstrukturen der Weißbüschelaffen und der frühen Menschen ließen vermuten, dass die Tiere während ihrer Evolution vor ähnlichen, vor allem sozialen Herausforderungen standen wie frühe menschliche Vorfahren, die daraufhin ebenfalls ähnliche Kommunikationsmethoden entwickelt hätten, so David Omer, Senior-Autor der Studie aus Jerusalem. Er ist überzeugt davon, dass „wir von nicht-menschlichen Primaten noch viel über die Evolution der Sprache beim Menschen lernen können“.   

Quellen

  1. ethologisch.de, „…denn sie wissen, was sie tun: Hilfsbereitschaft bei Weißbüschelaffen“ (aufgerufen am 19.11.2024) ↩︎
  2. sueddeutsche.de, „Du kannst mich Affe nennen“ (aufgerufen am 19.11.2024) ↩︎
  3. hna.de, „Weißbüschelaffen lernen durch Zuhören“ (aufgerufen am 19.11.2024) ↩︎
  4. scinexx.de, „Auch Affen nennen sich beim Namen“ (aufgerufen am 19.11.2024) ↩︎
  5. dpz.eu, „Auch Affen lernen zu kommunizieren“ (aufgerufen am 19.11.2024) ↩︎
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