9. Januar 2024, 13:21 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Im Tierreich gibt es viele besondere Arten, die noch nicht sonderlich gut untersucht sind. Dies kann daran liegen, dass sie scheu sind oder sich in Gegenden befinden, die für Wissenschaftler nur schwer zugänglich sind. So erging es lange Zeit auch der Boulengers Flachschildkröte. Eine neue Studie bringt nun jedoch Licht ins Dunkel und erklärt, wie die gerade mal elf Zentimeter großen Tiere eine Wüste von 500.000 Quadratkilometern fruchtbar machen.
Viele kleine Tiere spielen eine große Rolle in Ökosystemen. Dies ist zum Beispiel bei Insekten der Fall, die Blüten bestäuben. Auch Regenwürmer werden mittlerweile als Nützlinge angesehen, die eine wichtige Aufgabe bei der Erhaltung von Bodenqualität erfüllen. Doch ein anderes kleines Reptil stellt diese Tiere laut einer neuen Studie komplett in den Schatten. In dieser Untersuchung fanden Forscher heraus, wie eine der kleinsten Schildkröten der Welt eine Wüste, die etwa anderthalbmal so groß ist wie das gesamte deutsche Bundesgebiet, fruchtbar macht.
Das Leben der Boulengers Flachschildkröte war lange Zeit unbekannt
Die Karoo-Wüste befindet sich auf einem Hochplateau in Südafrika und macht etwa ein Drittel des gesamten Landes aus. Auf einer Fläche von 500.000 Quadratkilometern lebt die Boulengers Flachschildkröte. Sie ist eine der kleinsten Landschildkröten der Welt und wird höchstens elf Zentimeter groß.
Ihrer großen Rolle in der Karoo tut dies aber überhaupt keinen Abbruch. Denn die winzige Schildkröte ist eine Futterspezialistin, die sich in der Wüste komplett pflanzlich ernährt. Dabei frisst sie jedoch nicht alles. Gras zum Beispiel verschmäht sie komplett.
Lange war das kleine Reptil nur schlecht erforscht. Auch Studienleiter Victor Loehr und seinen Kollegen hat es die Art nicht gerade leicht gemacht. Denn die winzige Landschildkröte versteckt sich den Großteil des Tages unter Steinen, was die Forscher dazu zwang, viele davon buchstäblich umzudrehen, um die Tiere studieren zu können. Letztendlich ist es ihnen jedoch geglückt und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen erschienen im Fachmagazin „Journal of Arid Environments“.
Die Gegend, die die Schildkröte ihr Zuhause nennt, ist eine der trockensten Regionen der Erde. Dort fallen pro Jahr höchstens vier Zentimeter Regen. Sie ist jedoch nur auf den ersten Blick lebensfeindlich. Und die Boulengers Flachschildkröte navigiert sich geschickt zu den besten Futterplätzen und nährstoffreichsten Pflanzen.
Landschildkröte ist die wahrscheinlich langsamste Gärtnerin der Welt
Überdurchschnittlich oft fressen die Boulengers Flachschildkröten Blumen der Gattung Hermannia, eine Pflanze aus der Familie der Malven, die nur in ihrer trockenen Heimat zu finden ist. Dies erklärt jedoch nicht, wie häufig die Schildkröte genau diese Blumen fraß, denn sie wachsen nur an einigen geschützten Orten der Karoo-Wüste, machten aber ein Großteil ihrer Nahrung aus.
Es fanden sich auch Überreste von Sukkulenten mit hohem Wasseranteil und Früchte in ihrer Nahrung. Allerdings verteilten die Boulengers Flachschildkröten viel häufiger Samen der heimischen Malvenpflanze. Diese Samen zeigten durch die spezielle, langsame Verdauung der Tiere zudem eine Besonderheit: Die relativ lange Verweildauer im Darm von Schildkröten (durchschnittlich 2,5-23,8 Tage) führt zu einer minimalen Beschädigung der Samen – stattdessen werden sie durch den Schildkröten-Dung sogar noch fruchtbarer.
Den Lieblingspflanzen kommt anschließend wieder die Vorliebe der Schildkröte für strukturiertes Gelände und ihre langsame Geschwindigkeit zugute. Durchschnittlich bewegen sich die kleinen Reptilien gerade mal 28 Meter pro Tag, halten sich aber an Mikrostandorten mit reichlich Schatten und abfließendem Wasser auf. Dies ist in dieser trockenen Umgebung der ideale Ort für Früchte und Blüten tragende Pflanzen.
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Boulengers Flachschildkröte ist stark bedroht
Nicht nur wegen ihrer geringen Größe und dem Hang zum Verstecken wurde die Schildkröte lange übersehen oder nicht für besonders wichtig erachtet. Sie zählt, zusammen mit der Gesägten Flachschildkröte (Chersobius signatus) und der Nama Zwergschildkröte zu den kleinsten Arten der Welt. Alle drei Arten gelten laut der Roten Liste als ‚gefährdet‘ oder ‚stark gefährdet‘.
Die Nicht-Regierungsorganisation Dwarf Tortoise Conservation für die Erstautor Loehr und Kollegen arbeiten, will dies ändern. Mit Studien wie der über die Flachschildkröte wollen die Forscher die wichtige Rolle der kleinen Reptilien in ihren heimischen Ökosystemen untersuchen und ihre Ernährungsweise erläutern, um die Bedürfnisse des Tieres besser zu verstehen. Auch durch Nachzuchten und Auswilderungen will die Organisation dazu beitragen, die bedrohten Tiere zu retten.
Besonders setzt der kleinen Landschaftsgärtnerin der Habitatverlust durch den Ausbau von Straßen zu. Aber auch die Wilderei für den Haustierhandel wird den Mini-Schildkröten zum Verhängnis.
Sich das süße Reptil ins heimische Terrarium zu holen, ist übrigens keine gute Idee. Die Bedingungen der südafrikanischen Heimat und den Pflanzenreichtum, den die Schildkröte in der Wüste liebsten verspeist, nachzubilden, ist schlicht nicht möglich.
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Quellen
- Loehr, V. J., Keswick, T., & Barten, N. (2023). Karoo dwarf tortoises (Chersobius boulengeri) prefer and disperse doll’s roses (Hermannia spp.). Journal of Arid Environments, 219, 105094.
- News.Mongabay.com, „Study: Tiny tortoise may play large role in South Africa’s Karoo landscape“ (aufgerufen am 9.1.2023)