25. Oktober 2024, 12:13 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Wölfe strahlen für viele etwas beinahe Magisches aus. Stärke, Wildheit und Anmut sind nur drei Dinge, die Menschen mit ihnen verbinden. Daher verwundert es auch nicht, dass sich viele Hunde mit einer wolfartigen Optik wünschen. In den letzten Jahren ist sogar ein regelrechter Hype um Wolfshunde ausgebrochen. Allerdings zum Nachteil der Tiere, wie Tierschützer bemängeln.
Viele träumen von einem Haustier, dass das ursprüngliche Aussehen eines Wolfes mit dem anhänglichen Wesen eines Hundes verbindet. Quasi den Wolf für zu Hause. Daher steigt weltweit auch die Nachfrage nach Hunden mit wolfsartigem Aussehen. Das hat zur Folge, dass vermehrt Hybride – also Mischlinge aus Hund und Wolf – gezüchtet und verkauft werden. Doch die Haltung dieser Tiere ist nicht nur extrem anspruchsvoll, sondern meist auch illegal. Denn gesetzlich gelten solche Hybride bis zu fünften Generation offiziell als Wildtiere und sind als Haustiere nicht geeignet.1 2
So komme es oft vor, dass überforderte Halter ihre Tiere nach der Geschlechtsreife wieder abgeben oder aussetzten. In solchen Fällen wird unter anderem die Stiftung für Bären – Wildtier- und Artenschutz eingeschaltet. Diese Tierschutzorganisation rettet Wildtiere wie Bären, Wölfe und Luchse aus Gefangenschaft und vermittelt sie an naturnahe Anlagen. PETBOOK sprach mit Christopher Schmidt, Pressesprecher der Stiftung, über den alarmierenden Trend von Wolfshybriden und die Probleme, denen Halter solcher Tiere in der Regel ausgesetzt sind.
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Deutschland ist ein massiver Umschlagplatz für Wolfshybriden in Europa
PETBOOK: Wie häufig sind Wolfshybride in Deutschland? Gibt es dazu Zahlen?
Christopher Schmidt: „Das ist schwer zu sagen, weil es eine riesige Dunkelziffer gibt. Wir haben seit 2020 zunehmend Anfragen erhalten, Wolfshybriden zu übernehmen. Es gibt einen großen Hype, der schon seit Jahren anhält, und das Problem ist massiv. Wolfshybriden werden oft nicht offiziell gezählt. Wir hatten Fälle, in denen wir Hybriden übernommen haben, die über 90 Prozent Wolfsanteil hatten, aber als Haustier mit einem Pass registriert waren. Die Züchter – sofern Haltungsgenehmigung und Fachkundenachweis vorliegen – können diese Tiere legal verkaufen. Nur die Käufer machen sich strafbar, wenn sie keine Genehmigung haben.“
Wie siehst du die Rolle Deutschlands in diesem Kontext?
„Deutschland ist ein massiver Umschlagplatz für Wolfshybriden in Europa. Früher dachte man, solche Tiere kämen eher aus Rumänien oder Polen, aber Deutschland ist heute einer der größten Produzenten solcher Tiere.“
»Tiere werden wie am Fließband produziert
Habt ihr eine Schätzung, wie viele solcher Hybriden es in Europa gibt?
„Die Schätzungen gehen in die Tausende. Es gibt mitunter regelrechte Fabriken, in denen die Tiere wie am Fließband produziert werden. In einem Fall in Italien wurden über 200 Hybride gefunden.“
Ihr nehmt bei euch auch Wolf-Hybriden auf, richtig?
„Ja, wir haben einen Vertrag mit dem Umweltministerium Thüringen. Falls Wolfshybriden in freier Wildbahn auftreten und lebend der Natur entnommen werden, nehmen wir uns den Tieren an. Doch wir haben auch ein Paar aus Gefangenschaft: 2020 haben wir zwei Wolfshybriden aus Baden-Württemberg aufgenommen, die illegal gehalten wurden. Sie leben heute noch bei uns. Unser Ziel ist es, diese Tiere verhaltensgerecht unterzubringen, denn Wildtiere können nie artgerecht gehalten werden, und dadurch auf das Problem aufmerksam zu machen.“
„Wir zeigen das Leid, das durch Menschen entsteht“
Wie viele Wolfshybriden habt ihr aktuell bei euch?
„Aktuell haben wir zwei Wolfshybriden hier und einen weiteren im Schwarzwald. Wir haben die Genehmigung und die Fachkenntnis, solche Tiere zu halten und zu rehabilitieren. Eine pädagogische Aufarbeitung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Die Wolfshybriden können zwar beobachtet werden, aber sind nicht wie in einem Zoo ausgestellt. Das heißt, wir zeigen das Leid, das durch Menschen entsteht, geben den Tieren aber Raum, um sich jederzeit zurückzuziehen.“
Ihr setzt euch dafür ein, dass Wolfshybriden nicht in Gefangenschaft leben, aber was passiert mit denen in freier Wildbahn?
„Das ist eine schwierige Situation. Aufgrund von Artenschutz sollte grundsätzlich vermieden werden, dass solche Hybriden überhaupt entstehen. Aber in der Praxis lässt sich das nicht immer verhindern. Zum einen gibt es eine Hochzahl von verwilderten und freilaufenden Hunden, zum anderen ist es mitunter sehr schwierig, festzustellen, ob ein Tier ein Hybrid ist. Optisch sind oft keine Unterschiede festzustellen. Die einzige Möglichkeit, das sicher herauszufinden, ist eine DNA-Analyse, die natürlich aber nur durchgeführt wird, wenn das Tier eingefangen wird.“
„Wolfshybriden sind der Natur zu entnehmen – tot oder lebendig“
Was passiert, wenn solche Hybriden in der Wildbahn auftauchen?
„Wolfshybriden sind der Natur zu entnehmen – tot oder lebendig. Aber es bleibt ein kontroverses Thema, vor allem politisch. Die Nutztierhalter, besonders die Weidehalter, befürchten oft, dass Hybriden ihre Tiere angreifen könnten. Auf der anderen Seite gibt es Aktivisten, die gegen Abschüsse sind. Es gibt verschiedene Ansätze, wie man damit umgeht. Es gibt etwa eine italienische Tierschützerin, die die Hybriden kastriert und sie dann wieder freilässt. Das geschieht aus Tierschutzgründen und auf eigene Kosten.“
Die Gefangenschaft für die Wolfshybriden ist also genauso problematisch?
„Ja, definitiv. Das große Problem bei Wolfshybriden ist, dass es keinen Lebensraum für sie gibt. Aus der freien Wildbahn müssen sie entnommen werden und in Gefangenschaft können sie nicht leben. Es gab den ersten Fall von Wolfshybriden in Sachsen in den 2000er-Jahren. Einige dieser Tiere wurden eingefangen und in den Bayerischen Nationalpark gebracht. Dort haben sie sich schier totgelaufen, weil sie in Gefangenschaft nicht zurechtkamen. Das Einfangen und Einsperren von Wildtieren – egal ob Wolf, Bär oder Luchs – ist eine Qual für die Tiere. Sie leiden enorm darunter. Es gab Fälle, in denen Hybriden in Gefangenschaft sich die Zähne herausgerissen haben, bei dem Versuch, aus dem Gehege auszubrechen, weil sie unbedingt hinauswollten.“
„Ob mehr Wolfs- oder Hundecharakter durchschlägt, ist genetisch unterschiedlich“
Wie verhalten sich Wolfshybriden in der Wildnis, wenn sie auf andere Tiere treffen, wie etwa auf Wölfe oder Hunde?
„Das ist sehr individuell und hängt davon ab, ob sie sozialisiert wurden. Wenn eine Wölfin als Mutter ihren Nachwuchs aufzieht, bringt sie ihnen die Sprache der Wölfe bei. Wenn diese Prägung fehlt, wissen die Hybriden oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. Ob mehr Wolfs- oder Hundecharakter durchschlägt, ist genetisch unterschiedlich. In der Regel sind Wölfe in freier Wildbahn sehr territorial. Betritt ein fremder Wolf oder Hund ihr Revier, jagen sie ihn. Wenn es sein muss, töten sie ihn sogar. Zudem hängt das Verhalten bei Wolfshybriden stark davon ab, welche Erfahrungen sie gemacht haben und wie sie aufgewachsen sind.“
Angenommen solche Hybriden entlaufen oder werden ausgesetzt. Sind sie in der freien Natur überlebensfähig?
„Ich würde sagen, sie haben zumindest eine Chance. Selbst Haushunde, die verwildern, können durch ihre Instinkte überleben. Manche jagen, andere fressen verendete Tiere. Ich denke, es hängt vom individuellen Tier ab. Manche haben mehr Talent als andere. Eine Dunkelziffer gibt es, da Wölfe oft illegal gejagt und vergraben werden. Es ist oft schwer zu erkennen, ob ein Tier ein Wolf oder ein Hybrid ist. Es sei denn, es sieht eindeutig wie ein Hund aus.“
»Viele nehmen Wolfshybriden aus dem Tierschutz auf, ohne es zu wissen!
Ich habe gehört, dass einige Wolfshybriden als Tierschutzfälle nach Deutschland kommen und als Mischlinge beworben werden. Später merken die Halter, dass etwas nicht stimmt …
„Ja, das ist tatsächlich nicht selten der Fall. Viele Menschen wollen Hunde, die wie Wölfe aussehen. Deshalb nehmen viele Wolfshybriden auf, ohne es zu wissen.“
Gibt es in Deutschland Probleme mit der Haltung solcher Tiere?
„Ja, in Deutschland erlaubt die Gesetzgebung die private Haltung von Wildtieren nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie einer Genehmigung des Veterinäramts und einem Sachkundenachweis. Anders als in anderen Ländern gibt es hier eine Negativliste, auf der Tiere stehen, die nicht gehalten werden dürfen. Das erleichtert es enorm, dass Hybridhunde gezüchtet und für viel Geld unter der Hand verkauft werden.“
»Menschen, die Wolfshybriden oder Wolfshunde halten, würden auch Einhörner halten, wenn es sie gäbe
Offensichtlich haben viele Menschen eine ganz besondere Faszination für Wölfe und Hybride. Was meinst du, woher kommt die?
„Ich habe in einem Vortrag gehört, dass Menschen, die Wolfshybriden oder Wolfshunde halten wollen, sich auch Einhörner halten würden, wenn es sie gäbe. Es geht um dieses Mystische, das verklärte Bild von Wölfen. Es wird oft gesagt, diese Hybriden seien zahm wie ein Golden Retriever, aber sehen aus wie Wölfe – der ‚Wolf fürs Sofa‘. Diese groteske Faszination lässt viele Menschen die Realität ausblenden. Es wird in Foren oft damit geworben, dass Hybride wie Wölfe aussehen, aber zahm sind. Aber das böse Erwachen kommt, wenn die Tiere zu Hause sind. Und dabei denkt keiner daran, wie es dem Tier wirklich geht. Sie werden nur solange ‚geliebt‘, wie sie sich anpassen. Sobald sie schwieriger werden, sind die Halter überfordert.“
Du hast erwähnt, dass ihr oft Anfragen zur Übernahme solcher Tiere bekommt. Was sind das für Menschen, und was sind die Gründe?
„Die Anfragen kommen aus verschiedenen Richtungen: Tierheime, die nicht mehr mit den Tieren klarkommen, aber auch Privatpersonen. Oft handelt es sich um Einzeltiere oder Paare. Die Gründe sind vielfältig, aber oft hören wir, dass die Menschen mit den Tieren überfordert sind. Ein klassischer Fall ist, dass der Halter nicht mehr ins Gehege kann, weil der Wolf ihn nicht mehr hereinlässt. Mit der Geschlechtsreife werden die Tiere mitunter gefährlich und können nicht mehr allein gelassen werden. Dann gibt es Situationen, wo die Hybride ausgebüxt sind, aggressiv wurden und eingefangen werden mussten.“
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„Oft haben die Halter Angst, dass die Tiere vom Veterinäramt eingeschläfert werden“
Was passiert, wenn diese Tiere auffällig werden?
„Oft haben die Halter Angst, dass die Tiere vom Veterinäramt eingeschläfert werden, wenn sie auffällig sind. Das wäre aber in vielen Fällen tatsächlich das Beste für die Tiere, aber es ist eine unbeliebte Entscheidung. Dazu kommt der soziale Druck aus der Szene. Wenn jemand seine Tiere abgibt, wird er oft verurteilt, als hätte er die ‚Szene verraten‘. Das kann einen enormen mentalen Druck auf die Halter ausüben.“
Warum ist diese Szene so extrem? Was treibt diese Leute an?
„Ohne direkte Vergleiche ziehen zu wollen, erinnert es mich ein wenig an die Reichsbürgerszene. Sie wollen sich vom Staat nichts vorschreiben lassen und verteidigen ihr Tier als Symbol für ihre Unabhängigkeit. Für viele ist es ein Statussymbol, einen wilden Wolf oder Hybrid zu haben. Es zeigt auf lebensverachtende Weise, wie stark sie sind. Natürlich kann ich niemandem in den Kopf schauen, aber das ist so mein persönlicher Eindruck, den ich habe. Fakt ist hingegen: Die Zucht von Wolfshybriden führt immer zu Tierleid und geschieht stets aus egoistischen Gründen.“