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Vanessa Bokr von der Hellhound Foundation

Hundetrainerin für Extremfälle: „Hundehaltung sollte unter das Waffengesetz gestellt werden“

Vanessa Bokr, Geschäftsführerin der Hellhound Foundation e. V., mit einem Hund
Vanessa Bokr ist Geschäftsführerin der Hellhound Foundation e. V., einer gemeinnützigen Organisation, die sich auf Hunde spezialisiert hat, die Menschen verletzt haben und aggressiv sind Foto: Vanessa Bokr, Hellhound Foundation
Porträtaufnahme von Autorin Manuela Lieflaender mit Hund Elvis
Freie Autorin

8. August 2024, 11:58 Uhr | Lesezeit: 19 Minuten

Sind wir mit der Hundehaltung immer mehr überfordert? Nach den Erfahrungen von Vanessa Bokr könnte man diesen Eindruck bekommen. Bei ihr landen vor allem Hunde, die ihre Halter angegriffen oder andere Menschen verletzt haben – und es werden immer mehr. Im großen PETBOOK-Interview spricht die Geschäftsführerin der Hellhound Foundation über die Bedeutung der Beziehung von Mensch und Hund und warum sich viele heute damit so schwertun.

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Beißvorfälle, Aggression, Eskalation – wenn Hundebesitzer mit dem Vierbeiner überfordert sind und sogar Tierheime sich weigern, den Hund in Obhut zu nehmen, landen diese Tiere oft bei Vanessa Bokr. Sie ist Geschäftsführerin der Hellhound Foundation e. V., einer gemeinnützigen Organisation, die sich auf „schwierige Hunde“ spezialisiert hat.

Etliche TV-Sender haben Vanessa bereits bei ihrer Arbeit begleitet. Als TV-Zuschauer staunt man über ihren Mut, ihren Humor und über ihre Gelassenheit, mit der sie Hunde betreut, die zuvor Menschen verletzt haben. Als Hundetrainerin gibt Vanessa regelmäßig Schulungen und Webinare. Das aktuelle Webinar trägt den Titel „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“. Darin stellt Vanessa die These auf, dass die Beziehung zum Hund vor der Erziehung kommt. PETBOOK-Autorin Manuela Lieflaender sprach im Interview mit Vanessa darüber, was sie damit genau meint. 

»Ich muss dem Hund zeigen, dass ich die Situation im Griff habe

PETBOOK: Vanessa, du bist nicht nur Geschäftsführerin der Hellhound Founation, sondern gibts auch selbst Training. In einem Webinar sagtest du neulich „Beziehung vor Erziehung“ Was bedeutet das?
Vanessa Bokr: „Beziehung vor Erziehung heißt für mich, es ist müssen Grundpfeiler wie Vertrauen, Sicherheit und Zusammengehörigkeit da sein, bevor man dem Hund ‚Platz‘ beibringt. Denn einige Rüden machen kein ‚Platz‘ wenn sie auf der Gassirunde auf andere Rüden treffen und der Besitzer anstatt Sicherheit zu vermitteln einfach nur Grundgehorsam einfordert. Die Kommunikation fehlt hier. Der Rüde sieht im entgegen kommenden Hund gegebenenfalls eine Gefahr und die Antwort des Halters darauf ist ‚Platz‘. Der Hund wird also stehen bleiben und den Befehl verweigern. Dann muss ich mich fragen, was kann ich ihm nicht geben?“

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Was müsste man seinem Hund denn in dem Moment geben?
„Ich müsste ihm erst mal zeigen, dass ich die Situation im Griff habe und er die Verantwortung bei mir abgeben kann. Wenn er also stehen bleibt, den anderen Hund fixiert, den Kamm aufstellt, knurrt oder hektisch wird, weiß ich, dass er in seinem Kopf gerade alleine unterwegs ist. Hier ist es ratsam, den Hund durch Stimme oder kurzes Anfassen aus seinem Film zu holen und ihm zu signalisieren, dass er das Feld räumen soll, weil wir beide sonst ein Problem miteinander haben. Erst wenn mein Hund dies akzeptiert und gelernt hat, sich nicht einzumischen, wird es mir draußen auch gelingen, fremde Hunde wegzuschicken und die Lage zu entspannen. All dies ist kein Training im klassischen Sinne. Hier geht es um Beziehung. Das bedeutet, einander respektieren, Bedürfnisse zu erkennen – in dem Fall Sicherheit – und diese ernst zu nehmen.“

Vanessa Bokr: „Die Hunde, die zu uns kommen, haben oft extreme Defizite in der Kommunikation“

Wie genau gehst du dabei vor?
„Manche Rüden brauchen zwei bis drei Mal eine Ermahnung, bis man es wirklich selbst regeln kann und sie dies auch tolerieren. Diese Kerle sind häufig überfordert, sozial nicht besonders reif und alleine auf der Welt – Halbstarke eben. Ich kommuniziere auf der Beziehungsebene häufig über Bedürfnisse. Das heißt etwa, bei uns in der Gruppe darf nicht gestritten werden bis einer heult und es darf nicht an den Kühlschrank gepinkelt werden nur, weil man weiß, dass da das Futter rauskommt.

Umgekehrt darf der Hund mir zeigen, wenn ich ihn zu sehr bedränge oder seine Kapazität im sozialen Miteinander erschöpft ist. Die Hunde, die zu uns kommen, haben oft extreme Defizite in der Kommunikation und im Verständnis von und für den Menschen – da ist irgendwann die Luft raus. Trotzdem mache ich dem Hund immer das Angebot, mir zu folgen und seine ganzen Probleme mit mir zusammen zu lösen. Oft muss ich darauf auch bestehen, da unsere Insassen vorher über Jahre Einzelkämpfer in der Menschenwelt waren. Diese Grundsätze einer Beziehung müssen also erst ‚besprochen‘ werden, bevor ich ‚Sitz‘, ‚Platz‘, ‚Fuß‘ beibringe, denn solche Kommandos werden mich im Zweifelsfall nicht retten, wenn mein Gegenüber von mir die Meinung hat, dass ich nicht souverän genug bin. 

Vanessa Bokr: „Kunden, die zu uns kommen, haben übersteigert aggressive Hunde“

Wie baust du diese Beziehung zum Hund auf?
„Wir haben mit der Hellhound Foundation eine Einrichtung für schwierige Hunde – da ist Beziehung das A und O. Womit ich aber nicht sagen will, dass nicht auch nette Hunde ein Recht auf eine gute und bedürfnisorientierte Beziehung zu ihrem Halter haben. Auch sie haben Ansprüche. Ich lerne meinen Hund nur dann gut kennen, indem ich Sachen zusammen mit ihm ausprobiere. Auf diese Weise lerne ich, ihn einzuschätzen.“

Was machen viele Hundehalter deiner Meinung nach falsch?
„Viele halten ihren Hund zum Beispiel von Schrecksituationen fern. Ich halte es für wichtig, Probleme und Konfliktthemen anzugehen. Beziehung baut sich darüber auf, dass man seinem Hund sagt: ‚Jetzt unterhalten sich hier die Erwachsenen, nerv‘ nicht rum.‘ Gebe ich meinem Hund den ganzen Tag das Gefühl er sei der Nabel der Welt, dann wird er sich auch genau so verhalten.

Kunden, die zu uns kommen, haben übersteigert aggressive Hunde. Da kommst du mit ‚lass das mal‘ nicht weiter, da musst du halt mal ins Halsband greifen und sagen: ‚Geht’s noch? Hier wird niemand gebissen!‘ Hätte der Halter seinen Erziehungsauftrag hier von Anfang an ernst genug genommen, wäre solch eine Ansprache wahrscheinlich gar nicht nötig. Wenn allerdings schon ordentlich Frust und Enttäuschung auf Seite des Hundes aufgebaut wurden, hat man genau dieses Bild und eine Ansprache wie sie auch Erzieherinnen in der Kita kennen – nur ohne Griff ins Halsband. 

Was in der Hundeschule geübt wird, funktioniert im realen Leben nicht“

Was muss sich konkret in der Hundeerziehung ändern?
„Dem Menschen muss klar sein, dass er den Hund in seine Welt geholt hat. Diese Welt kann kein Tier begreifen. Wir beziehen uns nur noch wenig auf das ‚Hier und Jetzt‘. Das wird am Handy in Social Media weg gedaddelt. Das merken die Hunde natürlich auch. Die Menschen sind abgedriftet und das spiegeln die Hunde in ihrem übertriebenen Verhalten wider. Eine gute Beziehung definiert sich über Halt und Sicherheit. Dafür müssen wir im ‚Hier und Jetzt‘ sein, handlungsfähig und belastbar. In einer guten Beziehung gehört Streit dazu, solange die Basis, dass man sich liebt und anerkennt, da ist und von beiden verstanden wurde.

Ab welchem Punkt kommt die klassische Erziehung ins Spiel? Und auf welchen Säulen basiert deine Erziehung?
„Die Erziehung ist nur noch das I-Tüpfelchen. Mein Welpe kann im Feld schnüffeln, aber wenn man einen Termin hat, muss es auch mal schneller gehen. Wenn ich ihn nicht rufe und er kommt nicht, tippe ich ihn am Po an. Dann schaut er mich entsetzt an. Ich schaue ernst und sage ihm: ‚Komm mit mir‘. Das hat der Welpe schnell verstanden. Es ist natürlich eine Form der Konditionierung, aber es ist im Beziehungskontext: Ich werde sauer, wenn du jetzt nicht kommst, freue mich aber, wenn du folgst. Der Welpe muss das unterscheiden lernen, und danach bringe ich ihm das Kommando ‚Fuß‘ bei und fange an, das zu etablieren.

Das löse ich über Beziehung und Orientierung. Ich würde ihn körpersprachlich und über Worte eingrenzen. Wenn diese Grundpfeiler stehen, kann man mit der Erziehung beginnen. Denn das, was in der Hundeschule auf dem Hundeplatz, vor allem mit verhaltensauffälligen Hunden Stunde für Stunde geübt wird, das funktioniert im realen Leben nicht, weil es im Vorfeld schon andere Themen gibt wie Vertrauen, Sicherheit, Souveränität und Führung, die in der Hund-Halter-Beziehung nicht stimmen.

Vanessa Bokr: „Hunde sind die besseren Menschen? Da kriege ich das kalte Kotzen!

Der Hund ist für viele Menschen der Mittelpunkt ihrer Welt. Sie möchten Konflikte mit ihm vermeiden und versuchen alles über Leckerli zu lösen. Warum werden solche Hundehalter trotzdem von ihrem Hund angegriffen?
„Weil das Thema Sicherheit und Status nicht geklärt ist. Hunde können gut in Gruppen leben. Es geht aber darum, wer hier für Sicherheit sorgt und einen Plan hat. Wenn ich jede Frage, die der Hund an mich stellt, mit einem Leckerchen beantworte, mag es Hunde geben, die sagen: ‚Geil, ich frage einfach ständig nach.‘ Es gibt aber auch Hunde, die frustriert reagieren und sagen: ‚Das ist nicht die Antwort auf meine Frage‘.““

Wie geht es dann weiter?
„Meistens rasten sie als Erstes an der Leine komplett aus. Danach kann es sein, dass der Frust rückgerichtet auftritt, also dass sie ihren Halter beißen. Dann fangen sie an, ihren Halter zu Hause infrage zu stellen. Hunde leben in einer hierarchischen Struktur oder auch komplementären Beziehung und da wollen sie auch bleiben. Sonst hätten sie das innerhalb der letzten 30.000 Jahre mal geändert. Wie oft höre ich Menschen sagen: ‚Hunde sind die besseren Menschen.‘ Da kriege ich das kalte Kotzen! Leb mal mit unseren zusammen, dann weißt du, was ein besserer Mensch ist. Man tut den Hunden ein unsägliches Unrecht, wenn man sie vermenschlicht.“

Was genau meinst du damit?
„Die Leute wissen nicht, wie ‚grausam‘ die Natur ist. Die Hunde sind zwar domestiziert, aber sie haben ihre Grundbedürfnisse. Sie möchten einen festen Platz haben. Für Hunde zählt das Natürliche. Sie wollen wissen, an welcher Stelle stehe ich hier? Wer hat hier einen Plan? Wer hat eine Führungsqualität? Wir sind wie Streetworker. Diese Autorität müssen wir haben, weil wir wissen, sonst flippt er aus. Davon wollen die Menschen aber nichts wissen. Sie versuchen gerne die Natur der Hunde zu verneinen. Sie nehmen sich selbst in Schutz, weil sie merken, dass sie dem Hund nicht genügen. Hunde sind aber Egoisten, die nehmen sich lieber zu viel als zu wenig.“

Statusaggression ist der häufigste Abgabegrund

Was hilft dir im Umgang mit schwierigen Hunden?
„Man muss sich von den Hundeschicksalen abgrenzen, wenn man wirklich hinter ihnen stehen will. Empathie ist wichtig. Mitleid hingegen hilft nicht. Nur mit Sachkunde und einem klaren Blick auf die Situation kann man helfen. Das ist wie mit einer Spinnenphobie: Irgendwann musst du in den Raum, in dem die Spinne sitzt. Das wird nicht schön, aber es hilft nichts. Du musst da jetzt durch.

Hunde haben heute einen ganz anderen Status als früher. Oft dreht sich das ganze Leben der Halter um den Hund. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn er zum Beispiel das Sofa verteidigt. Wie siehst du das? Wie entsteht eine sogenannte Statusaggression?
„Die Statusaggression ist der häufigste Abgabegrund. Hier war mal jemand, der hatte einen Mali Welpen mit acht Wochen bekommen. Mit zehn Wochen hat der seinen Halter gebissen. Beim Tierarzt, in der Box, hat er Zähne gezeigt. Ich habe den Halter gefragt: ‚Was glaubst du, was hätte die Mutter des Welpen gemacht? Die hätte ihn für ein derart derbes Verhalten ihr gegenüber verprügelt!‘ Das sollte er natürlich nicht machen. Es hätte schon gereicht, den Welpen aus der Box zu holen und zu sagen: ‚Pass mal auf, so nicht! Lass das.‘ Einfach mal eine Grenze kommunizieren. Aber da fängt es an. Solche Verhaltensweisen werden einfach akzeptiert. Die Hunde haben 24/7 Zeit, uns zu beobachten. Die pöbeln dann an der Leine und man hat den Kopf voll und der Hund lernt, die kann gar nicht richtig aufpassen, dass nichts passiert.“

Wie sollte man als Halter reagieren, wenn der Hund zum ersten Mal das Sofa oder seine Beute verteidigt?
„Das ist nie das erste Mal. Er hat sich vorher schon steif gemacht, wenn man ihn vom Sofa haben wollte oder hat versucht, seinen Besitzer vom Sofa zu drängen, in dem er sich hinter ihn an den Rücken gequetscht hat. Das sind alles Anzeichen, mit denen der Hund sagt: ‚Mir ist das nicht recht, dass du jetzt auf dem Sofa sitzt.‘ Viele erkennen dieses Problem aber erst dann, wenn der Hund die Zähne zeigt und dann kann es eskalieren.“

Die Probleme fangen immer zu Hause an

Es gibt also immer Vorboten?
„Ja. Auf dem Auge sind die Leute aber oft blind. Der Hund hat vorher schon andere Sachen gemacht: übergriffiges Verhalten oder Rempler auf der Treppe. Wenn ich etwa vom Einkaufen komme, die Hände voll habe und die Hunde springen an mir hoch, dann gibt es richtig Ärger. Ich lasse das nicht immer zu, dass sie mich so begrüßen. Wenn ich aber vom Urlaub komme, sieht das anders aus: Wir haben uns lange nicht gesehen, alles ist entspannt und ich habe die Hände frei. Dann dürfen sie das. Ich erwarte, dass man in einer guten Beziehung weiß, was der andere gerade abkann und an seinem Ausdruck erkennt, was gerade geht. Das können Hunde eigentlich sehr gut, wenn der Mensch sein Empfinden souverän rüberbringen kann.“

Sollte man heutzutage überhaupt noch Hunde halten, wenn die Menschen so damit überfordert sind?
„Der Erziehungs- und Beziehungsauftrag ist verloren gegangen. Es wird ganz viel über Konditionierung gearbeitet und trainiert. Das Problem daran ist, dass dabei Kommunikation sehr künstlich wird und immer wieder abbricht. Es bringt nichts, nur in der Trainingssituation streng zu sein und außerhalb zu ignorieren oder zu vermeiden. Das ist wie, wenn sich das Kind an der Supermarktkasse auf den Boden wirft und schreit – die Probleme fangen immer zu Hause an. Hier wurde gegebenenfalls nicht genug an der Frustrationstoleranz gearbeitet. Der Hund muss wissen, was er darf und was ich an Verhalten nicht gestatte. Man arbeitet dann am besten über die Körpersprache.“

Viele Leute sind unterschwellig gestresst, aggressiv und im Zwang

Das fällt vielen schwer. Haben wir Menschen verlernt, über Körpersprache zu kommunizieren?
„Ja, denn man kann sich heute aus allem ‚raus lügen‘. Keiner muss mehr über Körpersprache kommunizieren. Wir haben das komplett verlernt. Ich habe somit auch noch keinen gefährlichen Hund gesehen, sondern nur Hunde, die unverhältnismäßig werden aufgrund ihrer Haltung und des Unvermögens ihrer Halter. Darin kann ich die Hunde auch nachvollziehen. Viele Leute sind unterschwellig so gestresst, so aggressiv und im Zwang. Die Devise lautet hier ganz klar: Leute lernt euch erst mal selbst kennen, ihr könnt der Welt gar keinen Gefallen tun mit eurer Art und stresst eure Hunde.“

Was sind das für Gründe, aus denen ein Hund frustriert ist?
„Das können schon die kleinsten Dinge sein. Generell entsteht Frust, wenn die Erwartungshaltung nicht erfüllt wird. Oder wenn das Thema ‚Ressourcen‘ nicht geklärt ist und der Hund immer auf das Sofa darf, immer fressen darf, wann er will, und immer das Leckerli bekommt, weil gerade ein anderer Hund kommt.

Ein Grund für Bissigkeit kann aber auch das Alleinbleiben sein, weil der Status des Hundes das nicht zulässt. Dann kann es passieren, dass der Hund einen gar nicht mehr ins Haus lässt. Nach dem Motto: ‚Du warst weg, jetzt brauchst du auch nicht wieder kommen‘.

Problematisch ist auch, wenn der Halter Konflikte nicht lösen will, der Hund aber sagt, wir haben ein Problem mit Nachbars Lumpi. In so einem Moment kann es sein, dass sich die Aggression des Hundes gegen den Halter richtet.“

Wie oft kommt das vor?
„Wir bekommen jeden Tag bis zu zehn Anrufe und mehrere Mails und Nachrichten, dass der Hund gefährlich ist und gebissen hat.“

Hunde werden auf eine seltsame Art in die Familie integriert

Sind Hunde heute rüpeliger und respektloser als noch vor fünf Jahren? Und wenn ja, woran liegt das Deiner Meinung nach? 
„Ja, sind sie. Vor fünf Jahren ist noch sehr kurz. Als ich klein war – vor 25 Jahren – waren sie noch anders. Da waren sie noch nicht so oft mit im Haus, da hatten sie noch Jobs und wurden nicht aus Jux und Tollerei gehalten.

Hunde haben sich, finde ich, in den letzten 20 Jahren verhaltenstechnisch weiterentwickelt. Man beobachtet vermehrt Hunde, die grinsen, wenn die Halter die Wohnung betreten. Das kommt aus dem Demutsverhalten der Hunde. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass sie sich diesen Gesichtszug von den Haltern als Begerüßungsgeste abgeschaut haben. Die haben sich verhaltensbiologisch weiterentwickelt.“

Kannst du das erklären?
„Hunde leben heute mit dem Menschen als Pärchen, nicht als Rudel. Mittlerweile haben die Hunde ein ganz krasses Ich-Bewusstsein entwickelt. Das hat mit der heutigen Situation und ihren Lebensumständen bei und mit uns zu tun. Hunde werden auf eine seltsame Art in die Familie integriert. Sie haben sozial keinen wirklichen Platz bei uns und werden ohne weitere Funktion zu Tode geliebt – es geht nur noch um den Hund. Dann übernehmen sie die Führung, wir nennen das hier das Managersyndrom.“

Hunde wälzen sich in Scheiße und prügeln sich im Zweifel sogar gerne

Was genau macht das mit dem Hund?
„Der Wandel vom Wir zum Ich, bewirkt bei den Hunden, dass sie uns als Mensch viel mehr hinterfragen und fordern. Ein Punkt, an dem viele an ihre Grenzen geraten und oft mit Resignation reagieren. Der Wandel vom Wir zum Ich, das ist das, womit wir kämpfen. Der Hund ist einerseits sozial verwahrlost, wird andererseits aber in den Mittelpunkt gestellt. Damit kommt er nicht klar.“

Was brauchen Hunde wirklich?
„Hunde brauchen einen Menschen, der Zeit hat und mit dem Kopf geerdet und bei der Sache ist. Menschen müssten sich mal zum Dienst im Tierheim melden – einfach, um mit vielen verschiedenen Hunden in Kontakt zu kommen und den Umgang zu erlernen. Ich habe das auch so gemacht. Kein Hund ist gleich und je mehr Erfahrung man sammelt, desto besser. Erst dann lernt man zu respektieren, was ein Hund ist. Er wälzt sich in Scheiße, hat keine Angst vor Konflikten und prügelt sich im Zweifel sogar gerne. Er kann unter guten Bedingungen aber auch der beste Freund an meiner Seite sein.“

Das sind Voraussetzungen, die bei den meisten Hundehaltern nicht gegeben sind.
„Eben. Aber es gibt ja Hunderassen, die sich auch für Couch-Potatos eignen. Wir haben zum Beispiel Bullterrier, die treibt bei Regen nichts und niemand vor die Tür. Aber auch andere Kleinhunderassen wie Chihuahuas, kann man gut drinnen halten, weil für sie ein Wohnzimmer ein toller Abenteuerspielplatz ist. Was natürlich nicht heißt, dass man sie nicht erziehen muss. Oder man hält Bulldogen aus der Qualzucht mit Atemnot. Die haben nicht mehr so viel Interesse am Leben und sind legal – auch wenn’s super traurig ist.“

Die sozial Klügsten sagen, wo es lang geht

Wie sieht gute Führung aus? Viele wünschen sich einen fairen Umgang mit dem Hund. Gibt es das überhaupt in diesem Zusammenhang?
„Was heißt fair? In der Natur ist nichts fair. Aber da gibt es Zusammenhalt und zusammen weiterkommen. Als Mensch kann man darauf aufbauen und es sogar verbessern, wenn man sich traut, wirklich hinzuschauen. Komplementäre Beziehung heißt, wenigstens einer muss einen Plan haben und der Rest vertraut auf dessen Urteilsvermögen und macht mit.

Die sozial Klügsten sagen, wo es lang geht. Der Mensch, der die mentale Stärke hat und im richtigen Moment ‚Stopp‘ sagt, das ist der, mit der guten Führung. Das ist der, der das Problem erkennt. Etwa, wenn sich der Hund verselbstständigt. Dann tönt es mit ernstem Unterton: ‚Ey Sebastian komm hierhin‘, weil er sonst auf der anderen Straßenseite klebt. Das ist souveräne Führung: Wissen, verstehen, richtig einschätzen und frühzeitig reagieren.“

Vanessa Bokr: „Jeden Tag hören wir von Hunden, die man tot im Wald gefunden hat“

Was wünschst du dir für die Hellhound-Foundation und allgemein für die Zukunft?
„Wir haben immer mehr Tierelend. Die Tierheime sind am Limit und haben kaum Kapazität, ihre Leute richtig zu schulen. Sie sind gemeinnützig und leben von Spendengeldern. Sie dürfen also keine Gewinne erzielen. Währenddessen wird das Elend immer größer. Die Leute fangen an, ihre Hunde auszusetzen, zu ertränken, totzuschlagen. Jeden Tag hören wir von Hunden, die man tot im Wald gefunden hat. Jetzt hilft nur noch eine radikale Lösung.“

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Hundehaltung sollte unter das Waffengesetz gestellt werden

Wie sollte die aussehen?
„Man muss anfangen, Hundehalter zu überprüfen, und zwar vernünftig. Denn beim Endverbraucher liegt wortwörtlich am Ende der Hund begraben. Der Hundeführerschein ist ein Witz. Man muss den Welpenhandel unterbinden und den Handel auf Kleinanzeigen und den ganzen anderen Portalen verbieten. Nur noch ausgesuchte Stellen und meinetwegen auch bestimmte Züchter dürfen vermitteln. Momentan sind es zu viele. Hunde werden aus dem Ausland importiert. Es wird unsägliches Leid produziert und die Vereine wollen davon nichts wissen. Man muss genauer überprüfen, welcher Hund zu welchem Menschen kommt. Ein Herdenschutzhund zum Beispiel gehört hier nicht hin. Das sind Tiere, die sonst über mehrere Hektar Schafe hüten, die kann man nicht in eine kleine Wohnung stopfen. Das ist nicht cool.“

Wie soll mit der Hundehaltung deiner Meinung nach umgegangen werden?
„Hundehaltung sollte unter das Waffengesetz gestellt werden. Wenn ein Hund richtig böse wird, tötet er einen Menschen. Die Tiere haben keine andere Wahl, weil sie mit uns in eine Wohnung gesperrt werden und nicht wegkönnen. Egal, wie bescheuert wir sind. Es müsste vernünftige Prüfungen mit Praxis und Theorie geben. Aufwändig und teuer – das war schon immer ein effizientes Mittel, um unüberlegten und naiven Konsum einzudämmen. Dann hätten wir demnächst das Problem nicht mehr.

An allem, was mit Fleiß und Geld verbunden ist, haben viele Menschen kein Interesse. Die Leute müssen den Ernst der Lage begreifen. So einen Hund kann man sich an jeder Ecke schenken lassen. Ich würde mir wünschen, dass die Hundehaltung im Vorfeld schon teuer wird. Mit Vernunft bekommt man die Leute nicht, das versucht man seit 100 Jahren.“

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