14. Juli 2023, 17:03 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Aufgrund der flachen Gesichter bedienen Mops und Co. das Kindchenschema und wirken daher besonders niedlich. Doch die Tiere leiden massiv unter der sogenannten Brachycephalie. Nun gibt es erste Ansätze, solche Qualzuchten auf Hundeshows und Ausstellungen zu verbieten. Das geht aber nicht weit genug! Um dem Problem Herr zu werden und dem Tierleid ein Ende zu setzen, gehört die Zucht und Haltung kurzköpfiger Rassen schlichtweg verboten!
Hunderassen wie die Französische Bulldogge, der Mops oder Boxer liegen im Trend. Das erste Mal seit über 30 Jahren liegt belegt der „Frenchie“ den Platz 1 der beliebtesten Hunderassen in den USA (PETBOOK berichtete). Auch in Deutschland landet die Rasse meist ganz oben auf der Beliebtheitsskala – je nach Umfrage. Die Hunde verzaubern ihre Besitzer zum einen durch ihren aufgeweckten – ja fast clownesken – Charakter. Vor allem aber sprechen sie viele Menschen optisch an. Denn ihr flaches Gesicht und die hervortreten Augen bedienen das Kindchenschema. Kurzköpfige Hunderassen wirken auf uns daher besonders niedlich, doch zu einem hohen Preis.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten durch einen Strohhalm atmen
„Wie niedlich, er schläft im Sitzen“, „Hör mal, wie er schnarcht“ – was viele Besitzer anrührend finden und in Videos auf sozialen Medien teilen, sind Symptome einer teils schweren Atemstörung. Denn die Verkürzung des Gesichtsschädels – die sogenannte Brachycephalie – führt gleich zu mehreren Problemen. Grund dafür: zwar wurden die Schädelknochen der Hunde im Laufe der Züchtung immer kleiner und kürzer, Gaumensegel, Zunge und andere Weichteile in der Hundeschnauze schrumpften jedoch nicht in diesem Maße mit. So hängt bei vielen kurzköpfigen Rassen gerne mal dauerhaft die Zunge aus dem Mäulchen, was die meisten Besitzer aber weniger beunruhigt, sondern eher noch verzückt.
Dabei ist die Zunge noch das kleinere Problem. Denn das zu lange Gaumensegel im Rachen des Hundes schränkt den Kehldeckel in seiner Bewegung ein und bedeckt die Luftröhre. Das ist in etwa so, als wenn man sich beim Einatmen ständig Klarsichtfolie über den Mund legen würde. Dazu kommen oft abnormal geformte, bis stark verkürzte und abgeflachte Nasenmuscheln und viel zu kleine Nasenlöcher. Das erschwert die nasale Atmung extrem. Wer das einmal nachempfinden möchte, kann sich einmal einen Strohhalm in ein Nasenloch stecken und das andere zuhalten. So in etwa fühlt sich die Atmung als kurzköpfiger Hund an. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie müssten dauerhaft so atmen.
Von Atemnot bis Todespanik
Je nach Ausprägung der Kurzköpfigkeit leiden die betroffenen Hunderassen mehr oder weniger an Atemnot. Hunde benutzen ihre Schnauze aber nicht nur zum Atmen, Fressen und Riechen, sondern auch, um sich abzukühlen. Da dieser Körperabschnitt bei brachycephalen Hunden jedoch praktisch nicht vorhanden ist (man muss sich nur einmal einen Mops oder „Frenchie“ im Profil betrachten), kann es passieren, dass die Tiere bei hohen Temperaturen, Belastung oder Stress einfach ohnmächtig werden.
Oft kompensieren kurzköpfige Hunderassen ihre Atemprobleme mit einem verstärktem Ansaugen der Luft beim Atmen. Das angestrengte Einatmen reizt jedoch auf Dauer die Schleimhäute, die daraufhin verdicken. Diese sogenannte Hypertrophie engt die Atemwege dann immer weiter ein und lässt die Beschwerden noch schlimmer werden.
Viele Hunde gehen daher zur Maulatmung über. Bei manchen ist die Atemnot sogar so groß, dass sie auch schon im Ruhezustand durchs offene Maul hecheln. Man kann davon ausgehen, dass solche Tiere also permanent unter Atemnot leiden. Bei Belastung oder Stress verfallen manche sogar in Todespanik, da sie kaum mehr Luft bekommen. Obwohl man dies vielen Tieren geradezu ansieht, nehmen ihre Besitzer das Problem nicht wahr. Dabei ist der im Sitzen schlafende Mops alles andere als niedlich oder lustig: Es ist der einzige Weg für ihn, beim Schlafen Luft zu bekommen.
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Ein Ausschluss von Ausstellungen und Shows geht nicht weit genug
Neben der Atemnot leiden kurzköpfige Hunderassen noch an vielen anderen Problemen. So haben sie oft deformierte Kiefer und Zähne, was zu schmerzhaften Zahnfehlstellungen führt. Die hervorstehenden, exponierten Augen verursachen ständige Entzündungen. Manchen Tieren fallen die Knopfaugen tatsächlich sogar schon beim Niesen oder beim Herunterspringen vom Sofa heraus, weil sie nicht mehr fest genug im deformierten Kopf verankert sind.
In den Niederlanden ist die Zucht von kurzköpfigen Hunderassen daher verboten worden. Auch in Deutschland fordern Tierschützer seit Jahren Zuchtverbote. Doch bislang scheut sich die Regierung davor. Auch der „Qualzuchtparagraf“ im Tierschutzgesetz ist immer noch zu ungenau definiert. Das macht es für Tierärzte oder Veterinärbehörden enorm schwierig, aktiv gegen Qualzuchtbetriebe oder sogenannte Vermehrer vorzugehen. Zwar plant Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, das Tierschutzgesetz zu verschärfen und kurzköpfige Hunderassen auf Schauen, Messen oder in der Werbung zu verbieten (PETBOOK berichtete) – doch das geht nicht weit genug!
Wir brauchen ein Verbot von Haltung und Zucht kurzköpfiger Hunderassen
Als treibende Kraft für Zuchtmerkmale wie die Kurzköpfigkeit sieht Prof. Dr. Achim Gruber, Leiter des Instituts für Tierpathologie am Fachbereich Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin, den Wunsch des Menschen nach einem Gefährten. Dabei seien Tiere mit „menschenähnlicher“ Anatomie wie platten Gesichtern und großen, runden, hervorstehenden Augen besonders beliebt, wie Gruber in einem Vortrag auf der Pressekonferenz der Deutschen Tierärztekammer berichtet (PETBOOK berichtete). „Der Mensch züchtet, was gefällt. Die Tiere zahlen dafür einen extrem hohen Preis.“ Vor allem populäre Hunderassen wie Möpse oder French Bulldoggs seien besonders krank. „Es ist ein Skandal, dass man diese Tiere in Deutschland kaufen kann“, sagt Gruber.
Auch Anne Weitz-Heeland von der Tierärztekammer Berlin bestätigt im Gespräch mit PETBOOK: „Die Menschen wollen die Extreme. Sie möchten ein besonderes Tier haben.“ Zudem würden die Tiere immer öfter Kinderersatz, und die Menschen vergessen den Unterschied zwischen Kind und Tier.
Zwar gäbe es unter Züchtern schon erste Initiativen, den Schwerpunkt der Rasse auf Gesundheit und nicht auf extreme Merkmale zu legen, sagt Gruber. Aber die eingefleischten Rassefans seien für solche Argumente oft nicht erreichbar.
Das Problem ist nicht nur die Zucht, sondern die Nachfrage
Das Problem liegt also nicht nur bei den Züchtern, sondern vor allem in der Nachfrage. Denn wenn deutsche Züchter Rassen wie Bulldoggen, Möpse oder Boxer nicht mehr liefern, bedient man sich anderer Quellen. So geschehen während der Corona-Pandemie, als Züchter der hohen Nachfrage an Hunden nicht mehr nachkommen konnten, was zu einem enormen Anstieg der Einfuhr von Welpen aus dem Ausland oder fragwürdigen Zuchtbetrieben führte, die ihre Ware vornehmlich über Internetplattformen anbieten.
Übrigens gilt dies nicht nur für Hunde. Auch andere Haustiere wie Katzen oder Kaninchen leiden unter Brachycephalie. Noch vor 20 Jahren wurde Perserkatzen der Nasenrücken gebrochen, damit das Gesicht möglichst platt ist. Heute sind solche barbarischen Methoden verboten – stattdessen wird das flache Elend züchterisch erzeugt. Der Wunsch nach dem Kindchenschema ist also nichts Neues, aber noch nie war es so leicht, an kurzköpfige Katzen- und Hunderassen heranzukommen.
Viele möchten das Problem nicht wahrhaben
Das Ganze wird zusätzlich befeuert von dem Hype in den sozialen Medien, wo vor allem Qualzuchten wie kurzbeinige Munchkinkatzen, Zwergkaninchen mit langen Schlappohren oder grunzende und schnarchende Möpse zurzeit besonders beliebt scheinen. „Sobald ein Hund in Mode kommt, in Futtermittelwerbung oder auf Instagram zu sehen ist, steigt die Nachfrage“, sagt Anne Weitz-Heeland von der Tierärztekammer Berlin.
Prof. Dr. Achim Gruber sieht die Lösung bei der Aufklärung der Gesellschaft oder genauer bei denen, die solche Hunderassen kaufen, ohne sich über die Qualen bewusst zu sein, unter denen die Tiere leiden. Aber nicht alle sind mit Aufklärung zu erreichen oder zu überzeugen. Schon jetzt scheinen viele Leute immun dagegen. So behaupten Besitzer in sozialen Medien stolz, ihr Hund sei gesund, während die Französiche Bulldogge neben ihnen mit weit aufgerissenem Mäulchen hektisch in die Kamera hechelt. Züchter erzählen, Atemgeräusche seien beim Tier ganz normal („Das ist das Mopsschnarchen“) und manch einer gibt sogar ganz offen zu, dass er sich immer wieder einen Mops kaufen würde – auch wenn das bedeutet, dass dieser später „gesund operiert“ werden müsse.
Um das Leid der kurzköpfigen Hunderassen zu beenden, hilft nur ein Verbot der Zucht und Haltung sowie deutliche Verschärfungen im Tierschutzgesetz. Es reicht nicht, Qualzuchten von Shows auszuschließen. Leider ist Deutschland noch weit von einem Haltungsverbot entfernt. So müsste das berühmte Zitat des Schauspielers Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Loriot „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ heute eher heißen: „Ein Leben ohne Mops ist nötig, aber (fast) aussichtslos“.
Kurzköpfige Hunderassen Wie Halter das Leben von Mops und Französischer Bulldogge erleichtern können
Studie zeigt Chronisch übermüdet! Französische Bulldoggen haben dauerhafte Schlafprobleme
Umfrage-Ergebnis Sollten Hunderassen wie Dackel oder Schäferhund verboten werden? Das sagen PETBOOK-Leser
Quellen
- Vetevo.de, „Brachycephalie Syndrom bei Hunden (Kurzköpfigkeit)“ (aufgerufen am 14.7.2023)
- Vetsagainstbrachycephalism.com, „Warum sind wir hier?“ (aufgerufen am 14.7.2023)
- Kleintierklinik.uni-leipzig.de, „Häufig gestellte Fragen zur Brachyzephalie“ (aufgerufen am 14.7.2023)
- Bmt-tierschutz.bmtev.de, „Niederlande verbietet Qualzucht von bestimmten Hunderassen“ (aufgerufen am 14.7.2023)